nträtseln
»Nun, ich erkläre Ihnen das in zwei Minuten«, sagte ich wohlmeinend. »Die Jahresbeilage
des ›Almanachs‹ trägt den Titel ›Ödipus‹. In der ersten Nummer wurde zur Erklärung
dieses Titels das berühmteste Rätsel des griechischen Volkes, des Volkes Homers,
erläutert: die Scharade, welche die Sphinx Ödipus, dem König von Theben, vorlegte.
Besagte Sphinx war eine Kreuzung aus Greif und Löwin.
Oder besser ausgedrückt, in der Sprache des Sertão, eine Kreuzung aus Jaguar,
Pferd und Sperber. Sie war gewiß vom wilden Affen gebissen
worden, denn nur ein solcher Biß kann erklären, daß das Untier
so gefräßig sein konnte. Bestimmt hatte sie eine ausgehungerte Kobra
in ihrem Blut, oder sie hatte als Baby einen verrückt gewordenen Kanarienvogel
gefressen, einen Happen, der, wie Sie sicher wissen, einen wölfischen Heißhunger
hervorruft. Die Sphinx fragte alle Vorüberkommenden: ›Welches Tier hat, wenn
es klein ist, vier Füße, später zwei und stirbt mit dreien?« Wer nicht antworten
konnte, den fraß sie auf, mit Haut und Haar. Als nun die Reihe an Ödipus kam,
da antwortete er ~ und wurde damit zum Schutzpatron aller Scharadenmacher und
Entzifferer -: ›Dieses Wesen ist der Mensch, der, solange er klein ist, auf
allen Vieren krabbelt, später auf zwei Füßen geht und sich endlich, wenn er
alt geworden ist, auf einen Stock stützt, der zu seinem dritten Fuß wird.‹ Als
die Sphinx ihren Logogriph enträtselt sah, geriet sie in eine so blinde Wut,
daß ihr die Birne platzte; sie bekam einen Herzinfarkt und starb. Nun, Herr
Richter, meiner Ansicht nach ist dieses große Rätsel der Griechen ein vollendeter
Bockmist. Zunächst einmal gehen nicht alle alten Leute am Stock. Hier in Taperoä
kenne ich Oberst Chico Bezerra; er benutzt nie einen Stock und geht so straff
und stramm und kerzengerade, als ob er einen verschluckt hätte. Es gehen auch
nicht alle erwachsenen Menschen auf zwei Beinen: es gibt das ›Einbein‹, den
Menschen, der auf einem Bein herumläuft, und dann gibt es die Krüppel, die auf
gar keinem Bein gehen. Und schließlich krabbeln auch nicht alle Kinder auf allen
vieren: ich habe schon viele Kinder gesehen, die zu Anfang auf dem Hintern herumrutschen
und ihren Podex durch den Dreck schleifen. Deshalb ist, Bescheidenheit beiseite,
meine epische Scharade, der gereimte Logogriph, mit dem mein Epos beginnt, dem
größten Rätsel der Griechen, des Volks von Homer, weit überlegen.« - (stein)
Enträtseln (2)
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