ntlein, häßliches   Seit fast vierzig Jahren leidet Vinnie unter den Nachteilen der ohne körperliche Reize geborenen Frau. Schon als Kind hatte sie ein Allerweltsgesicht, das irgendwie an ein kleines Nagetier erinnerte: schmale, spitze Nase, runde, ziemlich eng beieinanderstehende Augen, ein Knabberschlitz als Mund. In ihren ersten elf Lebensjahren machte sich allerdings noch niemand Gedanken über ihr Aussehen. Erst als sie langsam m die Pubertät kam, versuchten zuerst ihre plötzlich besorgte Mutter und dann sie selbst den mageren Gaben der Natur etwas nachzuhelfen. Getreulich befolgten sie die wechselnden Ratschläge von Bekannten und aus den Medien, doch ohne jeden Erfolg. Die in Vinnies später Kinderzeit so beliebten Löckchen und Rüschen standen ihr nicht; die strenge, eckige Mode des zweiten Weltkriegs betonte ihre pubertäre Schlaksigkeit; der New Look ertränkte sie in zuviel Textil — und so ging es im Wechsel der Mode immer weiter. Über Vinnies spätere Bemühungen um Schick und Charme sollte man besser überhaupt den Schleier der Nächstenliebe decken: die orangeroten ledernen Miniröcke über den knochigen Beinen der Vierzigjährigen, die toupierte Hochfrisur über dem kleinen Mausgesicht, das hinter einer überdimensionalen verspiegelten Fliegersonnenbrille hervorlugte.

Als sie fünfzig wurde, gab Vinnie diese Bemühungen dann schließlich auf. Sie tönte sich nicht mehr die Haare in unnatürlich jugendlichem Kastanienbraun und ließ sie in ihrem naturgegebenen, hellen Grau auswachsen; sie verschenkte ihre halbe Garderobe und warf die meisten Kosme-tika fort. Man muß den Tatsachen ins Gesicht sehen, sagte sie sich; sie war eben von der Natur benachteiligt, als Frau jetzt doppelt benachteiligt durch Alter; einer Frau wie ihr liefen die Männer nun einmal nicht nach wie die Stiere, da konnte sie sich noch soviel bunten Firlefanz umhängen, um sie auf sich aufmerksam zu machen. Wenigstens konnte sie es so vermeiden, zum Gespött zu werden. Wenn sie schon keine schöne Frau sein durfte, dann wenigstens eine Lady.

Aber gerade als Vinnie sich in die totale Niederlage zu schicken begann, wendete das Blatt sich zu ihren Gunsten. In den letzten paar Jahren hat sie mit einigen ihrer besser bedienten Altersgenossinnen gewissermaßen gleichgezogen, sie sogar überholt. Vergleiche zwischen ihrem und dem Aussehen anderer Frauen ihres Alters sind keine unversiegbare Quelle der Demütigung mehr. Sie sieht zwar jetzt auch nicht besser aus als früher, aber die andern haben an Boden verloren. Ihre schlanke, bescheiden proportionierte Figur ist nicht unförmig und wabblig geworden vom Kinderkriegen und dauerndem Zu- und Abnehmen; ihre kleinen, aber recht hübschen Brüste (cremeweiß mit rosa Knospen) sind straff geblieben.   - Alison Lurie, nach: Tintenfass 15, Zürich 1986

 

Frauentier

 

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