Enthirnungslied

 

   Der Möbeltischler (singt):

Ich war lange beschäftigt in einer Möbeltischlerei,
Grünfelderstraße, Allerheiligenstadt;
Die Frau war Modistin in 'ner Putzmacherei -
Uns hat nie was gefehlt, sogar Nimmersatt wurde satt!

Wenn am Sonntag den Himmel wir sahen, den blauen
Schritten im feinen Gewand die Allee wir fürbaß;
Wir spazierten hinaus, beim Enthirnen zuschauen,
In die Brüheißgass raus, da gab's immer 'n Mordsspaß!

Da seht, seht wie die Maschine flitzt
Da seht, seht wie das Gehirn schön spritzt
Da seht, seht wie der Rentier arg schwitzt...

   Die Pfahlgeister:

Hurra Horn zack Arsch Loch!
Vatter Ubu lebe hoch!

   Der Möbeltischler:

Unsre süßen zwei Kleinen, die Marmelad ums Gemäul,
Reißen vor Freud ihrer Puppe die Haare fast aus;
Sie klettern hoch auf den Wagen mit wildem Geheul -
So fahrn wir vergnügt nach Brüheiß hinaus.

Das Gerangel um die Plätze! Wie die alle schrein!
An der Absperrung vorn, wie wird da gemeckert!
Ich bezieh meinen Posten auf 'nem Haufen Stein,
Damit's Blut mir die Gamaschen nur ja nicht bekleckert.

Da seht, seht wie die Maschine flitzt,
Da seht, seht wie das Gehirn schön spritzt,
Da seht, seht wie der Rentier arg schwitzt...

   Die Pfahlgeister:

Hurra Horn zack Arsch Loch!
Vatter Ubu lebe hoch!

   Der Möbeltischler:

Bald schon sind wir von oben bis unten mit Hirn voll gespritzt;
Unsre Kleinen, die futtern 's sogar, als war es Ei.
Alles rast, wenn dem Pfahlgeist sein Eisen aufblitzt,
Und niedersaust und 's Blut schwappt auf die Nummern in Blei.

Da erblick ich auf einmal ganz nahe am Loch
Einem Kerl seine Fresse, die mir ganz und gar nicht paßt.
Ich sag Mensch, deine Rübe, die kenne ich doch!
Du hast mich mal gefilzt, jetzt mach dich gefaßt!

Da seht, seht wie die Maschine flitzt,
Da seht, seht wie das Gehirn schön spritzt,
Da seht, seht wie der Rentier arg schwitzt...

   Die Pfahlgeister:

Hurra Horn zack Arsch Loch!
Vatter Ubu lebe hoch!

   Der Möbeltischler:

Meine Gattin, die heftig am Ärmel mich zupft,
Heißt mich: Junge! Zeig's ihm! Er soll schmecken den Dreck!
Er kriegt eine saftige Flade ins Antlitz geschupft!
Und der Pfahlgeist - Mensch mach schon - guckt auch grade weg...

Ich erliege des prachtvollen Einfalles Reiz;
Und nehme zusammen meine ganze Courage -
Und ich schwups ihm hinüber 'ne riesige Scheitz -
Doch oh weh!, dem Pfahlgeist in die Visage!

Da seht, seht wie die Maschine flitzt,
Da seht, seht wie das Gehirn schön spritzt,
Da seht, seht wie der Rentier arg schwitzt...

   Die Pfahlgeister:

Hurra Horn zack Arsch Loch!
Vatter Ubu lebe hoch!

   Der Möbeltischler:

Auf der Stell werd ich über die Sperre gehievt;
Ach! die tobende Menge, sie packt mich und schiebt
Meinen Kopf in das Loch, das vor Blut schrecklich trieft,
In das finstere Loch, aus dem's keine Rückkehr mehr gibt.

Ja, das kommt davon, wenn des Sonntags man fein
Voller Neugier nach Brüheiß raus fährt,
Beim Enthirnen zuschaun, und beim Tanz ums Zwack-Schwein: 
Quick-lebendig geht's hin - und getöhödet man wiederkehrt!

Da seht, seht wie die Maschine flitzt,
Da seht, seht wie das Gehirn schön spritzt,
Da seht, seht wie der Rentier arg schwitzt...

   Die Pfahlgeister:

Hurra Horn zack Arsch Loch!
Vatter Ubu lebe hoch!

- Alfred Jarry, Ubu Hahnrei oder Der Archaeopterix. In: A.J., Ubu. Stücke und Schriften. Frankfurt am Main 1987 (zuerst 1897)

 

Lied Hirn

 

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