— Schlingen Sie Ihre Arme unter den meinen durch. Ich habe zu großen Schiß, um nicht sofort zu gehorchen. Ich schlinge meine Arme um ihn und drücke meine Nase an seinem Leder platt. Wir flitzen dahin, es ist wunderbar. Man hüpft die ganze Zeit auf und ab, das löst ein angenehmes Gefühl am After aus, wellenförmig kribbelt's einem übers Rückgrat hoch bis zum Gehirn, wo es in originellen und phantastischen Ideen explodiert. Wir sind bald angekommen. Ich zeige ihm das Haus. Draußen liegen immer noch Schlachthofabfälle, Eingeweide und anderes halbverfaultes Fleisch.
— Wie entsetzlich! ruft Tim aus. Er muß wirklich bekloppt sein, daß er an einem solchen Ort wohnt. Ich ging voraus. Er folgte mir in dem völlig dunklen Flur und wir stiegen die abgetretene, immer noch verpißte Treppe hoch. Wir waren fast auf der Etage angekommen, als ich spürte, wie mir Tim mit der Hand die Wade streichelte. Zweifellos eine freundschaftliche oder mechanische oder herzliche Geste. Ich blieb jäh stehen.
Tim blieb ebenfalls stehen, aber ohne seine Hand wegzunehmen. Ohne mich umzudrehen, ging ich eine Stufe zurück, und da er sich nicht von der Stelle gerührt hatte, war seine Hand etwas höher geglitten. Schließlich lag sie zwischen meinen Schenkeln, wo ich sie einklemmte. Einige Augenblicke blieben wir so stehen, leicht schwankend, dann ließ ich seine Hand plötzlich frei und mit einem großen Schritt stand ich auf dem Treppenabsatz. Ich klopfte heftig an die Tür, Joel kam öffnen, mit zerzaustem Haar, gähnend, und verquollenen Augen. — Tim ist da, sagte ich.
Und Tim erschien in der Tat und bevor er Joel die Hand
drückte, warf er mir einen höchst verwunderten Blick
zu. -
(
sally
)
- Nach: Uwe Nettelbeck, Der Dolomitenkrieg. In: U. N., Mainz wie es singt und lacht Die Ballonfahrer Briefe
Mainz bleibt Mainz Gespenstergeschichten Der Dolomitenkrieg Nachträge Frankfurt
am Main 1976 (entst. 1969-1976)
Entgegenkommen (3) Er verbrachte
einige Tage als Reisebegleiter von Fräulein Merceret nach Freiburg in der Schweiz.
Aber Fräulein Merceret war ein Mädchen von fünfundzwanzig Jahren, ein nicht
unangenehmer, entgegenkommender Mensch mit dem innigen Drang zum Anschluß, so
daß Rousseau, einfältig und ohne tiefere Ahnung, nur mit dem Glück des Toren
an einer Verbindung vorbeikam. Er sagte: »Ich glaubte, es gehörten Jahrhunderte
dazu, um dies schreckliche Übereinkommen vorzubereiten.« Als er keine Anstalten
machte, Fräulein Mercerets Entgegenkommen zu erwidern, kühlte sich die Freundschaft
ab, und Rousseau wandte sich nach Lausanne.- Ludwig Harig, Rousseau. Der
Roman vom Ursprung der Natur im Kopf. München 1981 (zuerst 1978)
Entgegenkommen (4)
- N. N.
Entgegenkommen (5) Genau in dem
Augenblick, als der Wagen auf fünfundachtzig kam, beugte Murks sich vor
und machte das Radio aus. Die plötzliche Stille wirkte auf Nashe wie ein
jäher Schock, und automatisch drehte er sich zu dem Alten um und sagte,
er solle sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern. Als er den
Blick unmittelbar darauf wieder der Straße zuwandte, sah er den
Scheinwerfer schon auf sich zukommen. Er schien aus dem Nichts
aufzutauchen, ein Zyklopenstern, der genau auf seine Augen zuschoß, und
in jäher Panik hatte er nur noch den einen Gedanken, daß dies also sein
letzter Gedanke sei. Zeit zum Anhalten blieb nicht mehr, es war nichts
mehr zu machen, und daher trat er nicht auf die Bremse, sondern drückte
nur noch fester aufs Gaspedal. In weiter Ferne hörte er Murks und seinen
Schwiegersohn aufheulen, doch ihre Stimmen klangen gedämpft, wurden
übertönt vom Brausen des Bluts in seinem Kopf. Und dann war das Licht
direkt vor ihm, und unfähig, noch länger hineinzustarren, schloß Nashe
die Augen. - Paul
Auster, Die Musik des Zufalls. Reinbek bei Hamburg 1996 (rororo
13373, zuerst 1990)
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