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(ben)
Entfaltung (2) Die drei Lesungen des Gesetzes
1.
Jeder Staatsbürger hat das Recht —
Beifall
seine Persönlichkeit
frei zu entfalten —
Beifall
insbesondere hat er das Recht auf:
Arbeit —
Beifall
Freizeit —
Beifall
Freizügigkeit
—
Beifall
Bildung —
Beifall
Versammlung —
Beifall
sowie
auf Unantastbarkeit der Person — starker Beifall.
2.
Jeder Staatsbürger hat das Recht —
Beifall
im Rahmen
der Gesetze seine Persönlichkeit frei zu entfalten —
Rufe: Hört!
Hört!
insbesondere hat er das Recht auf: Arbeit entsprechend den gesellschaftlichen
Erfordernissen —
Unruhe, Beifall
auf Freizeit nach Maßgabe seiner
gesellschaftlich notwendigen Arbeitskraft —
Zischen, Beifall, amüsiertes
Lachen, Unruhe
auf Freizügigkeit, ausgenommen die Fälle, in denen eine
ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus
besondere Lasten entstehen würden —
schwacher Beifall, höhnisches Lachen,
Scharren, Unruhe
auf Bildung, soweit die ökonomischen Verhältnisse sie
sowohl zulassen als auch nötig machen -
starke Unruhe, Murren, unversländliche
Zwischenrufe, Türenschlagen, höhnischer Beifall
auf Versammlung nach
Maßgabe der Unterstützung der Interessen der Mitglieder der Allgemeinheit —
Pultdeckelschlagen,
Pfeifen, allgemeine Unruhe, Lärm, vereinzelte Bravorufe, Protestklatschen, Rufe
wie: Endlich! oder: Das hat uns noch gefehlt!, Trampeln, Gebrüll, Platzen von
Papiertüten
sowie auf Unantastbarkeit der Person —
Unruhe und
höhnischer Beifall.
3.
Jeder Staatsbürger hat das Recht, im Rahmen der Gesetze und der guten
Sitten seine Persönlichkeit frei zu entfalten, insbesondere hat er das Recht
auf Arbeit entsprechend den wirtschaftlichen und sittlichen Grundsätzen der
Allgemeinheit —
das Recht auf Freizeit nach Maßgabe der allgemeinen wirtschaftlichen
Erfordernisse und den Möglichkeiten eines durchschnittlich leistungsfähigen
Bürgers —
das Recht auf Freizügigkeit, ausgenommen die Fälle, in denen eine
ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit dadurch
besondere Lasten entstehen würden oder aber zur Abwehr einer drohenden Gefahr
für den Bestand der Allgemeinheit oder zum Schutz vor sittlicher und leistungsabträglicher
Verwahrlosung oder zur Erhaltung eines geordneten Ehe-, Familien- und Gemeinschaftslebens
—
das Recht auf Bildung, soweit sie für den wirtschaftlich-sittlichen Fortschritt
der Allgemeinheit sowohl zuträglich als auch erforderlich ist und soweit sie
nicht Gefahr läuft, den Bestand der Allgemeinheit in ihren Grundlagen und Zielsetzungen
zu gefährden —
das Recht auf Versammlung nach Maßgabe sowohl der Festigung
als auch des Nutzens der Allgemeinheit und unter Berücksichtigung von Seuchengefahr,
Brandgefahr und drohenden Naturkatastrophen —
sowie das Recht auf Unantastbarkeit
der Person:
Allgemeiner stürmischer, nichtendenwollender Beifall. - Peter
Handke, nach (
was
)
Entfaltung (3) Die Sätze formten sich von selbst
in seinem Kopf. Sobald er in Zorn geriet, entfaltete
sich sein Talent. Im nüchternen Zustand wußte er
sich nicht auszudrücken. Bevor er Journalist geworden
war, hatte er Romane schreiben wollen. Nichts zu machen.
Er mußte sich die Worte abringen. Es war, als ob er auf steinigem Boden scharrte.
Wenn sich jedoch die Gelegenheit zu Schmähungen und Beschimpfungen
bot, dann flossen ihm die Worte von den Lippen, daß es eine Lust war. Dieses
herrliche Gefühl der Macht! Man hatte ihm Boshaftigkeit
vorgeworfen. Nein, er war nicht boshaft. Vielleicht ein wenig berauscht. Er
brauchte diese übertriebenen Formulierungen, wie früher die Dichter ihre wohlklingenden
Reime brauchten. Worauf es ihm ankam, das war die plötzliche Eingebung, die
glänzende Idee, der Volltreffer, der sich tief ins Bewußtsein prägte; und danach
war er für den Rest des Tages glücklich. -
Boileau / Narcejac, Leiche auf Urlaub. Reinbek bei Hamburg 1976