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der Gifte
Da kommt mir in den Sinn, Liebe: ich habe Dich als Engel der Gifte gekannt.
In der Stadt, deren Schlüssel ich Dir ins Gesicht geschleudert habe, bewohnst
Du das Königsschloß, den Palast der Werke der Gerechtigkeit, wo die lebendigen
Glieder sorgfältig vom Körper abgetrennt werden; Du wohnst in einer abgeschiedenen
Zelle und ernährst Deinen zarten, durch die unnatürliche Andachtshaltung verkrüppelten
Körper mit Brosamen, Krautern und Wasser-Gespräche führst Du nur mit der Barmherzigkeit
Deiner Hände. Wer aber trotzdem mit Dir sprechen und Dich berühren will, der
muß bis zum unzüchtigen Ort des Bordells im Hurenviertel vordringen, wo Dein
Körper sich in einen Dirnenkörper, eine Kupplerinnenfigur und das Profil der
lösegeldbringenden Frau spaltet; und Du bist besudelt mit namenlosem Samen,
achtlos gehandhabtem Blut und Obszönität, die sich in ein Fehlen berührbaren
Fleischs verwandelt hat. Du bist eidechsengrün, mit unbehaarter, ekelerregender
Haut; aber Du weißt ja, wie sehr ich alles Eklige, Ausgeschiedene, Unmenschliche
Hebe; Deine Dreiecksaugen verbergen Bedeutungen, die nicht zu unserer Welt gehören;
es gibt indes keine von Dir bewohnte Welt, die ich nicht seit jeher kenne; ich
sehe Dich Deinen Ursprüngen gemäß als Schlamm, lauwarmes Wasser, Insektengewimmel
auf dem Gesicht. Du bist ein launenhaftes, luftgenährtes Chamäleon, und in Deinem
leicht unheimlichen Körper sammeln sich Geometrien, Zahlen, verfaultes Moos,
Schienbeine und blitzartige Farbflecken. Es gibt keine Seelen-Capricen in Dir,
mit denen ich nicht umzugehen wüßte, und - wie ich mir anmaße - keine Schatten,
Schluchten, nächtliche Sümpfe, keine vormitternächtliche Schweigestunde für
Stimme und Bewegung, in die ich nicht einzudringen wagte; und Du bist jenseits,
anderswo, in einer Zeit, die Dich bewahrt, die aber auch mir gebort, Liebe.
Du wirst nie das Tor der Ephemeriden vor mir zuschlagen und auch den wirbelnden
Wipfeln nicht Einhalt gebieten können, denn es gibt keinen Schwindel, der mich
ausein-anderreißt oder an Dich schweißt. Du bist die abgegriffene Spielkarte,
die ich zwischen meinen Fingernägeln halte, und obgleich ich den anderen Spielern
nicht ins Gesicht sehen kann, weiß ich, daß sie alle nichtmenschlich sind -
große wilde Räder, Zeichen im Tierkreis; vielleicht kennen sie Dich, die da
spielen - oder tun sie nur so? Wollen sie mich reizen? -, um den Besitz Deines
Körpers - ähnlich, zugleich, dem meinen, dem ihren. Meine Smaragdeidechse, mein
Seeungeheuer, meine übelriechende verfaulte Alge, Entwurf einet Blume. - Giorgio Manganelli, Amore. Berlin
1982 (Wagenbach Quartheft 118, zuerst 1981)
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