mpfindlichkeit  Einstein erzählt, wie er und Morgenstern sich in einem Probelauf dieses einfachen Interviews immer stärker um Gödels Instabilität und Mangel an gesundem Menschenverstand sorgten. Anscheinend rief Gödel Morgenstern am Abend vor der Verhandlung an, um ihm zu erzählen, er habe in der Verfassung ein logisches Schlupfloch entdeckt, das eine Diktatur ermöglichen würde. Morgenstern sagte ihm, das sei äußerst unwahrscheinlich und er solle bei dem Gespräch am folgenden Tag unter keinen Umständen auch nur die Möglichkeit erwähnen. Als der Tag kam, versuchten Einstein und Morgenstern Gödel davon abzulenken, zuviel über das nachzudenken, was ihm bevorstand, indem sie ihn mit Witzen und Geschichten unterhielten, weil sie hofften, er würde sich dann damit zufriedengeben, einige Routineantworten und freundliche Platitüden von sich zu geben, und sie als Bürger der USA verlassen. John Castis Darstellung dessen, was bei dem Interview passierte, bestätigte schlimmste Befürchtungen. Empfindlichkeit  (2)  »Warum lesen Sie eigentlich solchen Mist?« fragte Studer.

— Es gibt gewisse Leute, die überempfindlich auf Jod und Brom sind, Idiosynkrasie nennt man dies . . . Studers Idiosynkrasie bezog sich auf Felicitas Rose und Courths-Mahler. Vielleicht, weil seine Frau früher solche Geschichten gerne gelesen hatte — nächtelang —, dann war am Morgen der Kaffee dünn und lau gewesen und die Frau schmachtend. Und schmachtende Frauen am Morgen .. .  - Friedrich Glauser, Wachtmeister Studer. In: F. G.: Kriminalromane. Berlin 1990 (zuerst ca. 1936)

Empfindlichkeit  (3) Nasse Socken sind unangenehm. Besonders wenn man fühlt, daß der Schnupfen, der sich vor zwei Tagen gemeldet hat, im Begriffe ist, sich in einen schweren Kartarrh zu verwandeln. Schließlich, in einem gewissen Alter, wird man empfindlicher, man hängt mehr am Leben, man fürchtet sich vor einer Lungenentzündung, man möchte trockene Wäsche anziehen, um dieser Gefahr zu entgehen. Aber wenn dies nicht möglich ist (man kann doch einen hocheleganten Untersuchungsrichter mit seidenem Hemd nicht einfach bitten: »Können Sie mir vielleicht ein Paar trockene Socken leihen? .. .«), so beißt man die Zähne zusammen, auch wenn die Zähne den undisziplinierten Vorsatz gefaßt haben, ein klapperndes Geräusch zu erzeugen ...

Das kam davon, wenn man sich wie ein Zwanzigjähriger auf ein Töff setzte und im strömenden Regen fünfundzwanzig Kilometer fuhr. - Friedrich Glauser, Wachtmeister Studer. In: F. G.: Kriminalromane. Berlin 1990 (zuerst ca. 1936)

Empfindlichkeit  (4)  Kommissär Werner Gisler bestand aus einem kahlen Kopf, der aussah, als werde er täglich mit Glaspapier geschmirgelt. Dieser Kopf saß auf einem gedrungenen Körper, der in Anzüge aus bäuerischem Stoff gekleidet war. Die Füße waren groß und steckten in Schnürschuhen, die Gisler sich nach Maß anfertigen ließ - denn er hatte Plattfüße... In Gesprächen liebte er es, die Empfindlichkeit seiner Füße zu erwähnen, ein unerschöpfliches Thema für ihn, denn diese Empfindlichkeit schien ihm ein Beweis seiner aristokratischen Abstammung zu sein. Nun, das war weiter nicht schlimm, manche haben es mit dem Magen, andere mit der Verdauung, die dritten mit der Blutzirkulation - der Stadtkommissär hatte es mit den Füßen ...

Als Studer das Bureau betrat, war Gisler damit beschäftigt, seine Schuhe wieder zuzubinden. Es geschah unter Ächzen und Stöhnen, denn sein Spitzbäuchlein war ihm dabei im Wege. Nach der Begrüßung sagte er:

»Wenn Ihr wüßtet, Studer, wie diffizil das ist! Am Morgen zieht man die Schuhe an, man pressiert, man gibt nicht recht acht — und gleich hat man eine Falte in der Lederzunge. Man hat sie nicht recht gestreckt - und die Falte drückt einen, drückt einen den ganzen Tag! Immer denkt man an den Rumpf und hat dabei soviel Arbeit, daß man gar nicht dazu kommt, die Zunge zu glätten; man leidet, aber man geduldet sich, denn man denkt, einmal, im Lauf vom Tag, wird es schon eine Minute geben, um die Zunge glatt zu strecken ... Man kann nicht intensiv an irgendeine Arbeit gehen, weil der Gedanke an den Falt in der Zunge immer wieder dazwischen kommt. Nun bin ich endlich einen Moment allein und da kommt Ihr! Da müßt Ihr Euch schon 's Momentli gedulden... Wißt Ihr, ich hab' so diffizile Füß!« - Friedrich Glauser, Die Fieberkurve. Zürich 1989 (zuerst 1937)

Empfindlichkeit  (5) Endlich hielt er den Rock in den Händen und warf ihn Todd über den Kopf. Todd blieb stehen und suchte sich zu befreien. Aber schon war der andere über ihm, packte ihn von hinten, preßte den Hals zwischen Ellbogen und Körper und steigerte langsam den Druck. Todd hörte, wie sein eigener Atem schwer ging, sein Kopf füllte sich mit Blut, das jedes Denken verdrängte. Er versuchte, sich mit ein paar Rucken zu befreien. Aber der Druck steigerte sich. Am meisten peinigte Todd der Geruch des Sergeanten. Es war ein gemeiner Geruch, von altem saurem Schweiß. Wie ungelüftete Betten. Eine große Übelkeit überkam ihn. Dumpf hörte er die anfeuernden Rufe des Chors. Dazwischen das heisere Flüstern des Sergeanten: «Ich werd lehren dich, ich werd lehren dich.»

Plötzlich hörte er eine Stimme; sie war in seinem Kopf, das wußte er. Und doch klang sie wie ein beruhigendes Flüstern vor seinen Ohren. Eine gemütliche Stimme, ein wenig rauh vom vielen Rauchen und Schnapstrinkcn. Sie gab einen Rat: «Wenn dich einer so packen tut, daß du nimmer los kannst, dann hau ihm eins zwischen die Haxen oder pack zu und drück fest zusammen. Dort nämlich sind die Leut am empfindlichsten.» Und blitzschnell war auch das Bild da, das zu den Worten gehörte. Irgendwo, am Wiedener Gürtel, auf einem unbebauten Platz. Ein Plattenbruder, ein Vagant, liegt auf der Erde, die Schirmmütze über den Kopf gezogen, weil die Sonne blendet. Und dieser Apache gibt dem Vierzehnjährigen Ratschläge. Sie sind wertvoll, denn der Mann hat viel Erfahrung. «Nämlich», sagt der Mann noch, «wenn du kein Messer hast.» Da greift Todd auch schon zu, die Kraft zu schlagen hat er nicht mehr. Er greift zu und drückt mit aller Kraft, was er da in die Hand bekommt. Ein leises Wimmern, dann ein sehr hoher Schrei. Der Druck läßt plötzlich nach.

Auch Todd ließ los und sprang zurück. Er sah, daß Hassa sich den Unterleib mit beiden Händen hielt. Dann sprang er vor und rannte dem Sergeanten den Kopf in die Magengrube. Mit einem leisen ‹Hn› sackte der zusammen. Todd kniete auf ihm und schlug mit den Fäusten auf das emporgewandte Gesicht. Als Todd aufstand, schmerzten seine Fingerknöchel. Der andere hatte einen harten Schädel.  - (gou)

Empfindlichkeit  (6)  Betrachtet man den Menschen, wie er ungefähr in der Realität ist, so sieht man, daß er zwar eine Summe von Tieren, aber kein einziges in besonders guter Entwicklung ist. Infolgedessen ist er ungewöhnlich empfindlich. Er ist in jeder Weise exponiert. Man wird vielleicht nicht genau sagen können, weshalb er nicht einmal einen ordentlichen Haarpelz hat. Man muß annehmen, daß das Material dafür beim Innenbau verwandt werden mußte, aber dieser Mangel erhöht die Empfindlichkeit.   - Ernst Fuhrmann, Die Angst als soziales Problem. Nach (fuhr)
 
Gemüt Empfindung Reizbarkeit Wahrnehmungsvermögen
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