Empedokles    Im zweiten Stock wurden die Arschlöcher dieser Stadt registriert.

Ich stieg aber weiter in den dritten. Was befindet sich dort, fragte ich.

Das Standesamt, sagte Heinz.

Kommt Zeit, kommt Bedarf, sagte ich.

Ich trat ans Fenster, schaute hinunter und sah Empedokles liegen auf dem Friedhof, alias Wüste, alias Parkplatz.

Warum er hier liege, wurde er gefragt und ob er jener des Hölderlin sei. Er bejahte. Er läge hier nach seinem Sturz als ein Toter, der einen Toten und zwei Lebendige frage: Wie könne sein Dichter tot sein wollen, dieser, der zukünftig war und noch ist. Wer erlaube Foucault zu behaupten: sein Dichter sei das Ende des Unendlichen auf der Erde - und seines Dichters Erfahrung sei gebunden an Manifestationen der Endlichkeit, von denen der Tod die bedrohlichste aber auch die vollkommenste sei. Und was ihn selber angehe, so behaupte Foucault von ihm: Sein Feuersturz hinterlasse die geschlossene Form der Individualität im Tode. - Er, Empedokles, spreche als einer, der heute mit Luhmann sage: Nicht Geschichte habe den unbedingten Primat über die Gegenwart, sondern die Zukunft. Nicht aber erlaube er jenem zu sagen: die Toten seien vorgestellt als erledigt. Er sage: Er sei nicht gestürzt in das Feuer, wie man sehen könne: er läge tot inmitten dieser Gesellschaft und lebe in ihr und spreche für sie, wenn er sage: Wie die Toten, so würden die Lebendigen, wenn sie gestorben seien, nicht mehr bedeutsam sein als Träger einer Geschichte im Sinne einer Aufgabe künftiger Forschung, wie Luhmann behaupte, und wie dieser würde er auch behaupten: Die Toten seien nicht dem Zwang der Tradition unterworfen. Aber dies nur deshalb, wie er behaupte: unabgeschlossen, als andere Möglichkeiten, die sie anböten, würden die Toten bleiben: als ein Bewirken von Wirkungen. Die Lebendigen, die ihre Toten abschlössen, sperrten sich mit diesen Toten in die Vergangenheit ein, und der Zwang der Tradition würde abgelöst vom Zwang der Zukunft: diese sei schon jetzt ein Gefängnis. In seine Mauern ritzten Lebendige nur wieder die Hoffnung ein auf den Tod, eine alte Geschichte. Das müsse ein Toter Lebendigen sagen, vor welchen sich verberge, was Zeit sei, wie die Soziologie mit Luhmann seufze. Der Dichter, der seine, riefe:

Neue Welt
o wann, wann.
Schon öffnet sie sich
die Flut über der Dürre.
Aber wo ist er?
         Daß er beschwöre den lebendigen Geist

Er antworte hier. Aber hier beschwöre nicht nur einer. Hier würden die Lebendigen und die Toten den Lebendigen Geist beschwören. Der Dichter riefe sie alle.    - Paul Wühr, Das falsche Buch. Frankfurt am Main 1985

Philosoph

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