minenz,
schlaue
RHH, rief er, RHH, Ehrl-Königs Souffleur,
Einpeitscher, aber auch Dompteur, da sind Sie bei mir an der richtigen Adresse.
Und legte los: Rainer Heiner Henkel, genannt RHH, ein farbenblinder Kunsthistoriker,
läßt zuerst fünf Gedichtbände drucken. Die gehören sozusagen in sein Wappen.
Weithin bekannt wird er dann durch sein Buch: Warum ich keine Gedichte mehr
schreibe. Leute, die sich nie für RHH's Gedichte interessierten, lasen neugierig
bis gierig, warum RHH keine Gedichte mehr schrieb. Nämlich: Fünf Bände Gedichte
habe er schreiben müssen, bis er erkannt habe, wie recht Adorno gehabt habe,
als er sagte: nach Auschwitz keine Gedichte mehr. Aber er tröste sich auch damit,
gab er bekannt, daß die Erde in 5758 Jahren von denen, die diese Erde bis dahin
bis zur Unbewohnbarkeit verwüstet hätten, verlassen werde, und diese Ausreisenden
würden alles mitnehmen, nur keine Literatur, und schon gar keine Gedichte, also
wozu noch etwas schreiben für nichts als die terrestrische Vernichtung. Er werde
sich den Lebewesen zuwenden, die allein später auf diesem Planeten gedeihen
werden: den Spinnen. Er wurde also Arachnologe
und hat inzwischen lesbare Bücher über Spinnen geschrieben. Ein paar Jahre lang
auch Fernsehkritik. Durch Henkel kommt Ehrl-König überhaupt erst zum Fernsehen.
Und: Er und seine Zwillingsschwester sind außer der Madame die einzigen lebenden
Menschen, mit denen Ehrl-König per Du gewesen ist. RHH entwirft auch Wahlprogramme
für die SPD. Er war und ist immer links. Aber von der Bibel her. Vom Neuen Testament
her. Bei linken Politikern und Administratoren ist am meisten geschätzt sein
Buch Jesus von Nazareth, Politiker. Trotz all dieser Interessen, seine ausgiebigste
Beschäftigung sei gewesen: Ehrl-König. Das legendäre Telephongespräch. Immer
zwischen Mitternacht und drei Uhr morgens. Von Ehrl-König in Hunderten von Interviews
bekannt gegeben, von RHH nie ein Widerspruch. »Meine Schlaue Eminenz«, so Ehrl-König
über RHH, seit Jahren. Ehrl-König hat jede Abendgesellschaft um Mitternacht
verlassen. Telephontermin, sagte er dann und verschwand. Man sei nicht sicher
gewesen, ob eigentlich Ehrl-König der Mächtigste im Kulturland sei oder nicht
doch RHH. Und dann die Sensation. Ehrl-König beklagt sich bei Hans Lach über
RHH. Fünf Wochen vor der Schicksalsnacht. Auf einem PILGRIM-Empfang. Das durfte
Hans Lach für aufregend halten, für weitersagenswert. Und er sagte es weiter
in den Tagen und Nächten nach dem PILGRIM-Empfang, der stattfand am 17. Dezember.
Wie Ehrl-König da über RHH sprach, spricht man nicht über einen Freund. Beispiel:
Wenn in RHH's Gegenwart das Wort Prostata falle, verlasse der sofort den Raum.
Oder: RHH's Zwillingsschwester Ilse-Frauke von Ziethen, die nach einer Neunwochenehe
mit dem Dermatologen von Ziethen wieder zurückgeschlüpft sei zu Bruder Rainer
Heiner, die nenne ihren Bruder Mäuserich. - Martin Walser, Tod eines Kritikers. Frankfurt am Main 2002
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