- Heinrich Seidel, Der
Hexenmeister. In: Teufelsträume. Phantastische Geschichten des 19. Jahrhunderts.
München 1983 (zuerst 1889)
Elster (2) Die Elstern waren großgewachsene Tiere
mit einer ungewöhnlichen Zeichnung im Federwerk. Der Fabrikant wusch die verbluteten
Stellen mit einem leicht angefeuchteten Lappen ab, setzte dann in Schnabel,
After und Nasenlöcher
Wattepfropfen. Mit einer Nähnadel zog er anschließend einen kräftigen Zwirn
durch die Nasenlöcher, um mit diesem den Schnabel zuzubinden. Der Fabrikant
breitete das Gefieder sorgfältig auseinander und führte den ihm längst in Fleisch
und Blut übergegangenen Hauptschnitt längs des Körpers vom Brustbein bis zum
After hin aus. Mit einer Pinzette löste er die Haut vom Körper, zog die Beine
so weit wie möglich zu sich und löste sie an den Flügeln. Während er den Körper
durchtrennte, bestreute er den Leib immer wieder mit Kartoffelmehl, um ein Verschmieren
des Gefieders zu vermeiden. Vorsichtig und mit minutiösem Rucken, das ein Einreißen
verhinderte, löste der Fabrikant nun die Körperhaut fast vollständig vom Kadaver.
Anschließend hob er den Kopf aus der Haut, um zu den Augen zu gelangen. Es ist
kaum vorstellbar und von einem anderen Menschen nicht zu ermessen, mit welcher
Selbstbeherrschung und ganz erfüllt von der ihm aufgetragenen Pflicht der Fabrikant
nun, immer noch mit dem frischen und weil selbst nicht miterlebten noch grausamer
in ihm wuchernden Bild der erblindeten Mutter in seinem Inneren, mit einer Pinzette
die Augen der Elster unterfasste und aus den Höhlen hob. Das Mondlicht fiel
in den Hof der Werkstatt und verzog die Schatten der dort abgestellten Kisten
zu Silhouetten, die mit erhobenen Armen aufgereiht an der Brandmauer zu stehen
schienen. Mit der Schere durchtrennte der Fabrikant das Hinterhaupt und räumte
die Schädelhöhle aus. Er ging zur Werkbank und schnitzte sich ein Holzstäbchen
in der Länge des Vogels zurecht, das er von hinten in den Schädel einführte,
bis es genügend Halt fand. Er griff nach dem Fläschchen mit Arseniklösung und
träufelte einige Tropfen in die Innenseite des Kopfes. Einer Eingebung folgend,
stellte der Fabrikant das Fläschchen jedoch nicht zurück, sondern verschloss
es sorgfältig und ließ es in seine Rocktasche gleiten. - (raf)
|
||
|
||