Slephant  G und Dora liegen in den hohen Sauerampferstauden,    den großen Lattichblättern,    hören das Gesumm von rings umher.

»Ich habe eine Philosophie«,    sagt Dora.    »Das einzige Prinzip:    der Mensch ist das größte-was-es-gibt.«

»Und die Amöben?    Und die Elephanten?«

»Kein System.    Es ist eine Philosophie ohne System.«

»Das Größte ist der Elephant.    Was der Elephant nötig hat, ist nötig.«

»Aber warum arbeitet er dann, dieser Elephant?«

»Aus gentilezza,    aus purer Höflichkeit,    aus Charme.«

»Aber warum macht er Kunststücke, dieser Elephant?    Ich sah ihn in einer winzigen,    mit Sägespänen verstaubten Arena,    Trotteln über der Stirn,    lächerlich.«

»Er macht Kunststücke, weil es ihm Spaß macht.«

Doras Muskeln: die einer Akrobatin.

»Aber warum fürchtet er sich, - vor einer Maus?«    »Das ist eine Fabel.«    G wird verlegen.

»Sieh, ein Elephant fürchtet sich nicht vor einer Maus.    Wenn er sich vor einer Maus fürchtet,

-    eine Maus braucht das.    In summa:    er ist ein Schauspieler.«

G's Elephantentick.    »Er erlebt auch Enttäuschungen.    Er hängt den Enttäuschungen nach. Dafür gibt es Beispiele.    Die Antilope spricht zu denen, die zur Arbeit gehen wollen:    >Geht in mein Haus.<    Der Elephant spricht:    >Nein, sie sollen an meine Arbeit gehen.<    Die Antilope:    >Dann werde ich eure Arbeit stören.<    Sie nimmt ihre Harfe, setzt sich an den Weg, beginnt Harfe zu spielen.    Als alle eine Zeitlang getanzt haben, setzen sie sich neben die Antilope.    Die Arbeit ist gestört.    Der Elephant fragt:    >Was ist geschehen,    warum kommt ihr nicht zur Arbeit?<

Die Antilope:    >Ich sagte, ihr solltet in meinem Haus arbeiten.    Du sagtest: nein!    Darum störe ich dir die Arbeit.<    Der Elephant sagt:    >Das ist wahr<.«

Elephanten,    sagen die einen,    sind von allen Lebewesen die rücksichtsvollsten.    Sie leben, nach Geschlechtern getrennt, in kleinen Herden. Nur zur Paarungszeit kommen sie zusammen.    In Not- und Schmerzzeiten sondern sich einzelne ab. - Wird der Elephant geboren,    spürt er sich nicht nur seiner Mutter gegenüber,    sondern er sieht sich von allen weiblichen Tieren umringt.    Sie pendeln mit den Rüsseln um das Neugeborene.    (G und die Rüsselschatten um ihn herum, kurz vor dem Aufwachen.)    Die Mutter massiert seinen Bauch mit dem Rüssel.    Die anderen sichern den Geburtsort gegen Störungen.    Mit dem Rüssel bläst der Elephant Staub über das Neugeborene, damit es schnell trocknet.    Nach einer Stunde steht das Baby auf seinen Beinen,    geschützt zwischen den Säulen, wetzt seinen Rücken daran,    fühlt sich wohl.

Die Elephantenwolken ziehen.    Die Kinder zwischen den Zigeunerwagen schreien ›kra-kra‹.

G läßt die Elephantenplätze vorbeidefilieren: den von Rom bei der Minerva-Kirche,    weißer Marmor von Bernini,    ein Elephant, der Fragen stellt;   -    den von Catania zwischen Ätna und Meer,    schwarzer Elephant aus Basalt, der gegen Unheil gefeit macht;    -    den von Paris:    auf der Plattform zwischen den Türmen von Notre-Dame, verhexte Elephanten-Chimäre zwischen Teufel und Witwe und Vogel Roc;    -    sein altes Lambeth-Domizil Elephant and Castle,    London, den schnarrenden Kreisverkehr von damals um ein altes elephanten-gekröntes Stein-Eiland,    ein gute Wehr und Waffen;    -    die beiden Kande-laber-Elephanten,    die die Plaza Vina del Mär bewachen,    den drei-eckigen, grünen Sausalito-Platz,    surrounded by Canary Island Date Palms.

Es dämmern die Elephanten-Friedhöfe, die Orte des Sterbens,    nahe den schwarzen Erdpolstern unter dem Gestrüpp,    Ruhe und Gedankenfäden spinnen sich zwischen dort und der Mulde, in der er liegt,    Porte de Clignancourt,    zusammen mit Dora,    zwischen den Drehorgeltönen und Lautsprechern,    in der er seinen Gedankenschatten nachhängt, sich wohl fühlt.

Dora hört aufmerksam zu.    Sie sagt:    »Ist das die richtige Art, Zeichen zu finden?«

G's Vorgehen:    Sich einspinnen in ein Gespinst.    Wohltätige Fabeln.    Und jetzt die Fabeln durchschauen.    Und sie als Fabeln sehen,    und jetzt genau erkennen: was sie verdecken.    Und vielleicht ist das wirklich ein Trick,    wahrhaft zu sagen, wer du,     jetzt,    bist.

Er fühlt sich wohl.    Was dagegen aufsteht,    ist das Klappern von Gerippen.    Hinter jedem Gesicht, auch dem von Dora,    ein Totenschädel.    Das Stöhnen auf den Totentrommeln wie ein Gesumm vieler Bienen,    der Anruf aus Katakomben,    der Herzschlag, den das Ohr vernimmt,    das Kinn eines sich weiter und weiter entfernenden Gesichts, das mit den Augen nachwinkt, aber mit einer Drehung des Körpers sich in den Schatten bringt.

»Einmal warst du der Ansicht, Elephanten sind keusch.    Sie fressen weiße, reinliche Mandragora im Paradies, elephantenähnliche Wurzeln.    Sie sind keusch:    fressen Mandragora und bekom-

men Kinder.«    Elephanten, die aufeinanderliegen, die röhren und stöhnen.    Die sich abmühen.    -

Dora und G und die Expeditionen, die zu unternehmen waren.    Sie wohnten zusammen in einer Ebene.    Die Ebene war gelb.    Sie war weit, der Horizont schien unbegrenzt,    nur einige schwarze Punkte standen am Horizont.    Manchmal kam einer dieser Punkte näher,    aber es war,    als ob er auf halbem Wege wieder umkehrte,    zurückkroch in seine Ferne.

Ein Roman, den G früher gelesen hatte,    begann mit einem detaillierten Bericht,    wie ein Kind einschläft,    mit einer Theorie des Einschlafens.    G hätte seine Semiologie beginnen können,    wie ein Elephant aufwacht am Rand der Ebene.    Dieses graue Gewitter.    Der sich dem Tod nahefühlt und sich in die abgelegene todnahe Gegend rettet, die der Ruhe am nächsten kommt.    Der Elephantenhügel, grau;    Wellen von zementenen Rücken.

Er legt sich nieder, ruhig, um zu sterben.    Er wird nie mehr erwachen.    Sich niederlegen, um nie mehr sich zu erheben,    -    nie mehr sich anzustrengen,    nie mehr zutod verletzt sein,    die Beine von sich strecken und tot sein.    Aber sein ruhiger Atem holt das Leben zurück.    Er schlägt die Augen auf, erwacht.    - Walter Höllerer, Die Elephantenuhr. Vom Autor gekürzte Ausgabe. Frankfurt am Main 1975 (st 266)

 

Fabeltier

 

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