Eisenkröte   Der Mann wankt gerade aus den Schwingtüren eines Pissoirs heraus, noch völlig groggy von einer Konfrontation mit der berüchtigten Eisenkröte, dem bekanntermaßen härtesten Männlichkeitstest in der gesamten Zone, vor dem man selbst orden- und ranggeschmückte Krautkiller, selbst die teufelsverachtendsten Leck-mich'm-Arsch-Augen~zu-und-durch-Ausbrecher aus den schlimmsten Militärgefängnissen der Zone in die Knie gehen, den Schwanz einziehen, umkippen und manchmal sogar kotzen, ja, sogar kotzen, an Ort und Stelle, gesehen hat. Es handelt sich dabei um eine wirkliche, liebevoll ziselierte, tausendwarzige und, wie manche behaupten, unmerklich lächelnde eiserne Kröte von fast dreißig Zentimetern Länge, die am Grunde einer stinkenden, scheißefleckigen Toilette lauert und über eine Rheo-stat-Regelung mit dem europäischen Stromnetz verbunden ist, aus dem sie wechselnde, unvorhersehbar unangenehme, wenn auch nie tödliche Spannungen bezieht. Kein Mensch weiß, wer an der Kurbel des verborgenen Rheostaten sitzt (manche vermuten hier den halbmythischen Putzi) oder ob er nicht überhaupt an einen automatischen Timer angeschlossen ist, denn es kriegt keineswegs jeder etwas ab - man kann auf die Kröte pissen, und es passiert nicht das geringste. Aber man weiß es halt nicht vorher. Oft genug liegt die Spannung an - und der Strom piranhabeißt und lachsspringt den güldenen Pissestrahl empor, deine treulose Leiter aus Salzen und Säuren, schließt dich kurz mit Mutter Erdung, dem großen, planetaren Pool aus Elektronen, und macht dich eins mit deinem Prototypen, jenem legendären, armen Trunkenbold, der, zu besoffen, um irgend etwas mitzukriegen, auf irgendeine längst vergangene Stromschiene pißte und zu Holzkohle explodierte, zu epileptischer Nacht, nicht einmal sein Schrei sein eigen, sondern Stimme der Elektrizität, der Amperes, die durch das schon zerberstende Gefäß sprachen, das zu schnell zerberstende, als daß sie auch nur begonnen hätten, ihrer schrecklichen Erlösung aus dem Schweigen Ausdruck zu verleihen, und ohnehin predigten sie tauben Ohren, dem anonymen Streckengeher, der über die Schwellen hinkt, dem alten Schlaflosen auf seinem Nachtspaziergang, dem Stadtstreicher auf seiner Bank unter dem grünen Halo von Millionen Junikäfern um die Straßenlampe, dessen Hals sich durch die Träume schluckt und wieder lockert, und vielleicht war's nur eine vögelnde Katze, eine Kirchenglocke in einem hohen Luftzug, ein Fenster, das eingeschlagen wird, ohne Richtung, nicht einmal alarmierend, sofort gefolgt von der alten, der leuchtgas- und lysolgeschwängerten Stille. Und jemand anders findet ihn dann nächsten Morgen. Oder du - du kannst ihn jede Nacht bei Putzi finden, falls du Manns genug bist, auf diese Kröte zu pissen. Der Major ist diesmal mit einem leidlich milden Schlag davongekommen und befindet sich jetzt in ausgesprochen selbstzufriedener Stimmung.

«Der Warznscheissa hat zwar sein Bestes gegebn», wickelt er einen Arm um Bodines Nacken, «aber ich habse zur Sau gemacht, die Kröte! Yaaah-ha-ha-ha!» - Thomas Pynchon, Die Enden der Parabel. Reinbek bei Hamburg 1981

Eisen Kröte

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