insiedler «Der alte Herr verläßt sein Tal nie und weigert sich, Besucher zu empfangen. Ich würde nicht wissen, ob er noch lebt, wenn ich nicht vorige Woche gehört hätte, daß zwei Brennholzsucher ihn zufällig in seinem Garten hatten arbeiten sehen. Er ist ein sehr weiser und gelehrter Mensch, Euer Ehren, manche behaupten, sogar, daß er das Lebenselixier gefunden hat und diese Welt in Kürze als ein Unsterblicher verlassen wird.»
Richter Di strich sich langsam über seinen langen Bart.
«Über solche Einsiedler», sagte er, «habe ich schon viele Geschichten gehört.
Gewöhnlich erweist sich, daß es sich tatsächlich nur um außergewöhnlich faule
und unwissende Menschen handelt.» -
Robert van Gulik, Mord im Labyrinth. Zürich 1985
Einsiedler (2) Nach allem,
was man hörte, glich er seinem Aussehen nach dem Opfer einer bösen Fee.
Er schien von Circes Becher getrunken zu haben und war wie ein Tier.
Lumpen bedeckten nur ungenügend seine Blöße. Seine sommersprossige Haut
war von der beständigen Sonneneinstrahlung entzündet, seine Nase platt,
sein Gesicht verzerrt, plump und erdhaft, Haar und Bart ungeschoren, üppig
und von feurigem Rot. Fremden erschien er wie ein vulkanisches Wesen, als
ob er mit der Insel in derselben Eruption ans Licht des Tages gebracht
worden wäre. Lag er, mit Lumpen bedeckt und zusammengerollt schlafend,
in seiner einsamen Lavahütte, so glich er, wie man sagte, einem Haufen
zusammengewehten Laubes, den ein scharfer Nachtwind von herbstlichen Bäumen
herabgefegt und bei seinem Wirbeln in einem Augenblick der Pause in einem
versteckten Winkel hat liegen lassen, um dann ruhelos weiterzuwehen und
seine launenhafte Tätigkeit an anderer Stelle fortzusetzen. Man sagt auch,
dieser selbe Oberlus habe das seltsamste Bild abgegeben, wenn er an einem
schwülen, trüben Vormittag, unter seinem häßlichen alten schwarzen Segeltuchhut
verborgen, zwischen der Lava Kartoffeln hackte. So verzogen und gekrümmt
war sein ganzes Wesen, daß sogar der Stiel seiner Hacke unter dem Griff
seiner Hände zusammenzuschrumpfen und sich zu verbiegen schien, so daß
er wie ein elender krummer Stecken aussah, der mehr der Kriegssichel eines
Wilden als einem zivilisierten Hackenstiel glich. Es war eine rätselhafte
Angewohnheit von ihm, bei der ersten Begegnung mit einem Fremden diesem
stets die Rückseite zu zeigen, vielleicht weil diese seine bessere war,
da sie am wenigsten enthüllte. -
Herman Melville, Die Encantadas. In: H. M., Redburn. Israel Potter. Sämtliche
Erzählungen. München 1967 (zuerst 1854)
Einsiedler (3) Ich wollte den Schimpf, die Ungerechtigkeit, die Ungeheuerlichkeit nicht wahrhaben, daß ich, Salvador Dalí, meine schriftstellerische Arbeit an der Unsichtbaren Frau sollte unterbrechen müssen, weil ich, Salvador Dali, ohne Geld sei, und die Vorstellung, daß meine Galuschka in die gleiche entwürdigende Situation hineingezogen werden sollte, brachte meinen ohnedies überspannten Geduldsfaden vollends zum Zerreißen.
Die Tür hinter mir zuknallend, voll von Gewissensbissen, Gala in ihrer Not allein unsere Koffer packen zu lassen, lief ich aus dem Haus. Ich hob einen Stock vom Boden auf und stelzte durch die roten Nelkenfelder zum Meer hinunter. Im Gehen mähte ich wütend die Nelkenköpfe ab; sie schossen in die Luft wie das herausspritzende Blut der von Carpaccio so grausam realistisch gemalten Enthaupteten.
Das Meer hatte am Ufer Grotten ausgehöhlt, in denen olivenhäutige Zigeuner
hausten. Sie brieten ihre Fische in siedendem Öl, das in den Pfannen zischte
wie die Nattern meines Zorns. Eine Sekunde lang schoß mir der absurde Gedanke
durch den Kopf, Galas edlen Leib zu töten und unter ihnen hier zu leben. Der
Gedanke an eine Geschlechtsgemeinschaft mit den wunderschönen Zigeunerfrauen,
die da halbnackt ihre Babies stillten, war erotisch äußerst erregend; hinzu
kam, daß diese Frauen nicht mehr zu säubern waren. Ich floh in eine einsame
Höhle. In meiner Phantasie wirbelten und vermischten sich die Bilder der stillenden
Brüste mit der Vision des glänzenden Rappenhinterns einer jener über das Feuer
gebeugten Frauen. Meine Beine gaben nach, und auf den schroffen Felsboden niederknieend,
fühlte ich mich wie einer der von Rivera gemalten Anachoreten in seiner
Ekstase. Mit der freien Hand streichelte und kratzte ich die ausgeglühte Haut
meines Körpers. Ich wollte sie überall zugleich berühren. -
(dali)
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