Einfädeln  Mit meiner Meßkunst für Eheleute, an der ich zuweilen schrieb, wenn ich einmal gantz für mich lachen wolte, hat es neulich ein seltsames Ende genommen. Ich wolte mir ein Buch nähen: Heinrich, sagte ich, gebe er mir eine Nadel, Zwirn habe ich, der Kerl ist ein Schneider, und hat Nadeln und Zwirn immer bey sich. Was für eine, Herr Professor. Eine für meinen Zwirn, Heinrich. Hier ist eine Herr Professor. Aber, Wetter, in diese Nadel bringe ich den Zwirn nicht, das Öhr ist viel zu klein. Sie müssen ihn einmal mit den Fingern spitz drehen, so geht es, Herr Professor. Nicht doch, die Nadel gefällt mir, aber gebe er mir bessern Zwirn, der geht nicht. Können Sie diesen brauchen, der ist feiner. Heinrich, der ist zu fein, der taugt zum Bücher nähen nicht, eine grösere Nadel, geschwind, und den alten Zwirn, ich kann da nicht stundenlang einfädeln. Ja aber Herr Professor, wenn Sie es so machen wollen, so werden Sie in Ewigkeit nicht welche treffen, die so sind, wie Sie sie haben wollen, es kommt auf den Vortheil an so kan man sie alle brauchen. Heinrich, sagte ich, nehme er einmal das Büchelgen dort, ich habe es geschrieben und stecke er es in den Ofen. Warum das, Nichts, es steht etwas drinnen, das ich noch gestern für neu hielte, aber ich sehe es ist nichts neues unter der Sonne, man weiß alles schon, und damit flog die Meßkunst für Eheleute in den Ofen.  - Lichtenberg an Johann Christian Dieterich, nach (mehr)

Einfädeln (2) »Schön! Schön!« grinste der Richter. »Hat es Euch wohlgetan ?«

»Nein, gar nicht!« brauste sie auf. »Der Schaden, der mir zugefügt worden ist, kann nur mit tausend Golddukaten gutgemacht werden.«

»Liebes Kind«, versetzte nun der Richter, »leider Gottes muß ich deine Klage abweisen, weil ich nämlich überzeugt bin, daß man keinem Mädchen Gewalt antun kann ohne ihr Einverständnis.«

»Ach Gott im Himmel!« heulte nun die Dirne los, »fragt doch nur einmal Eure Magd und hört, was sie Euch sagen wird.«

Da versicherte ihm die Magd, es gebe zweierlei Notzüchtigungen, solche, die Spaß machen, und andere, die höchst widerwärtig seien. Und wenn für die Wäscherin weder Vergnügen noch Geld dabei herausgeschaut habe, so stünden ihr eben Vergnügen oder Geld zu. Dieses sachverständige Gutachten versetzte den Richter in nicht geringe Verlegenheit.

»Jacqueline!« entschied er schließlich, »bevor ich zum Nachtmahl gehe, muß ich das alles gründlich überdenken. Geschwind, hole mir eine Nadel samt einem roten Faden, wie ich sie zum Heften meiner Aktenbündel benütze.«

Jacqueline brachte eine Art Ahle mit einer zierlichen, eng geschlitzten Öse nebst einem dicken roten Faden, wie ihn die Gerichtsbeamten verwenden. Dann blieb sie neugierig stehen und wollte dabei sein, wenn der Richter seinen Spruch fällte; und beide, Magd und Wäscherin, waren höchst gespannt ob dieser geheimnisvollen Zurüstungen.

»Schönes Kind«, sagte nun der Richter, »ich werde jetzt die Stopfnadel halten, deren Öhr groß genug ist, daß man mühelos das Fadenende einfädeln kann. Könnt Ihr's hin-durchstecken, so will ich mich Eures Falles annehmen, und der gnädige Herr muß bluten, das heißt: einen Kompromiß eingehen.«

»Was ist das: ein Kompromiß ? Darauf laß ich mich keinesfalls im voraus ein.«

»Das ist ein Juristenausdruck und bedeutet soviel wie Vergleich.«

»Ein Kompromiß ist somit gewissermaßen eine ausgleichende Gerechtigkeit ?« fragte die Wäscherin.

»Liebes Kind, die Vergewaltigung hat Euch auch den Verstand aufgeschlossen, dünkt mich. Habt Ihr's also begriffen ?«

»Ja«, antwortete sie.

Zuvorkommend hielt nun der verschmitzte Richter dem vergewaltigten Mädchen das Öhr der Nadel bequem hin. Doch als sie den Faden, den sie gezwirbelt hatte, damit er schön steif war, hineinstecken wollte, zuckte der Richter ein Stückchen beiseite, und das Mädchen hatte für diesmal das Nachsehen. Da ging ihr ein Licht auf, was für ein stichhaltiges Argument ihr da der Richter vorhielt; sie netzte den Faden, steifte und spitzte ihn schön gerade und ging erneut drauflos. Doch der listige Richter zuckte, zappelte und wand sich gleich einem Jüngferlein, das sich nicht recht traut. Und so wollte auch diesmal der vermaledeite Faden nicht ins Loch gehen. Nun gab sich das schöne Kind erst recht Mühe, zielte mit Fleiß aufs Öhr, probierte es noch und noch; der Richter aber schmunzelte und wich geschwind zur Seite, drehte das heißbegehrte Ösenloch weg, und umsonst war die ganze Liebesmüh. Der Faden kam nicht dazu, Hochzeit zu halten, das Ösenloch blieb jungfräulich, und die Magd mußte hellauf lachen und meinte anzüglich zur Wäscherin, sie verstehe sich offenkundig besser aufs Genotzüchtigtwerden als aufs Notzüchtigen. Da mußte auch der arglistige Richter lachen, die schöne Maid aber weinte bittere Tränen um ihre blanken Goldtaler, die ihr - es sah ganz danach aus - durch die Lappen gingen.

»Wenn Ihr nicht stillhaltet«, begehrte sie auf - denn schließlich riß ihr die Geduld -, »wenn Ihr mit Absicht nicht stillhaltet und in einem fort hin und her wackelt, kann ich doch nicht den dicken Faden durch das enge Pförtchen zwängen!«

»Das ist's ja eben, mein liebes Kind!« lachte der Richter. »Hättest du's auch so gemacht, dann hätte dich der gnädige Herr nicht klein gekriegt! Auch mußt du in Betracht ziehen, wie weit diese Öffnung hier klafft und wie eng und verschlossen so eine Jungfrau ist - oder doch sein soll!«  - (drast)

Einfädeln (3) »Euer Gnaden«, sagte sie, »auf daß Gerechtigkeit walte, ist es vonnöten, daß ich's genau gleich mache wie der gnädige Herr. Hätte ich nämlich bloß zu wackeln brauchen, so würde ich jetzt noch wackeln; aber er hat eben ganz andere Schliche angewendet.«

»Laß hören«, ermunterte sie der Richter.

Da ging das Mädchen zum Leuchter, tunkte den Faden ins Wachs der Kerze und rieb und drückte ihn, bis er steif und bolzgerade stand. Dann, als der Faden schön hart war, stieß sie damit nach dem Nadelöhr, das ihr der Richter hinhielt, wobei er immerzu bald rechts, bald links auswich. Da aber setzte ihm das Mädchen mit tausend spaßigen Reden zu, sagte einmal: »Oh, was für ein hübsches Öschen!«oder: »Wie niedlich zum Hineinstecken! Nie hab ich solch ein Kleinod gesehen!« - oder dann wieder: »Welch ein wunderliebliches Spältchen! Laß mich doch meinen Zauberfaden hineintun! Ach weh! Ei, ei, ei! Ihr tut ja meinem armen Fädchen weh! Meinem herzigen Faden dürft ihr nichts zuleide tun! Haltet doch still! Ruhig doch, mein Richterschatz, Richter meiner Liebe! Was meint Ihr? Soll der schöne Faden nicht durch das Eisenpförtchen sein Köpflein stecken, das ihm so übel mitspielen wird, daß er ganz schlapp wieder hervorkommt?« Und dazu lachte sie, daß ihr die Tränen über die Backen liefen, denn sie kannte sich in diesem neckischen Spiel seit langem weit besser aus als der Richter. Aber auch der hielt sich den Bauch vor Lachen, so putzig, drollig und possierlich war sie, wie sie den Faden bald vorstieß, bald zurückschnellte. Bis gegen die siebente Stunde hielt sie den Richter so in Atem; die ganze Zeit mußte er die Nadel schön aufrecht darstrecken, und sie setzte ihm unermüdlich zu, ohne abzulassen oder zu ermatten, und in einem fort tänzelte sie vor seiner Nase herum wie ein Murmeltier, das man von der Kette gelassen hat. Immer aufs neue versuchte sie den Fadenstumpf ins Öhr zu stecken. Der Richter aber konnte einfach nicht mehr, so ermattet war er, zudem brannte sein Braten an, und seine Hand wurde ihm so müde, daß er sie notgedrungen für ein Weilchen auf dem Tischrand aufstützen und ausruhen mußte. Und da steckte auch schon blitzschnell die schöne Dirn den Faden hinein und hindurch und sprach: »So ist es zugegangen!«

»Aber mein Braten wäre fast angebrannt!« schimpfte der Richter.

»Meiner auch!« antwortete schlagfertig die Schöne.  - (drast)

Einfädeln (4)
 

Nadel Faden

 

  Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Synonyme