Degas wies jede Leichtigkeit von sich, wie er alles von sich wies,
was nicht den einzigen Inhalt seines Denkens betraf. Im Grund war ihm nur daran
gelegen, vor sich selber zu bestehen. - (
deg
)
(2) Mir geht der Ruf voraus,
ein Richter zu sein, der schnell die Todesstrafe verhängt. Das ist nicht gerecht.
In meinen Plädoyers habe ich mich stets getreulich an den Buchstaben des Gesetzes
gehalten.
Ich habe immer nur eines getan: Ich versuchte, die Geschworenen vor den emotionalen Angriffen einiger unserer gefühlsbetonteren Anwälte auf ihr Gemüt zu bewahren. Deshalb machte ich sie immer wieder auf das tatsächlich vorliegende Beweismaterial aufmerksam.
Seit einigen Jahren spüre ich, daß in mir eine Änderung vor sich geht. Meine Selbstbeherrschung läßt nach, es wächst das Verlangen zu handeln, nicht nur zu richten. Lassen Sie es mich offen gestehen: Ich hatte selbst den Wunsch, einen Mord zu begehen! Ich erkannte darin das Verlangen des Künstlers nach Ausdruck. Ich war ein talentierter Mörder, oder jedenfalls hatte ich das Zeug dazu. Meine durch die beruflichen Umstände stets im Zaum gehaltene Phantasie erstrahlte in mir mit riesiger Kraft. Ich mußte, ja, ich mußte einen Mord begehen! Und was noch wichtiger war, es durfte kein gewöhnliches Verbrechen sein! Es sollte etwas Phantastisches sein, etwas Unerhörtes, noch nie Dagewesenes! Das ist wohl der einzige Punkt, in dem ich offenbar immer noch denke wie ein Halbwüchsiger. Es sollte ein spektakulärer Fall werden, etwas Einmaliges. Ich wollte töten. Ja, ich wollte töten... Vielleicht mag es manchem widersinnig erscheinen - aber gleichzeitig quälte und behinderte mich bei der Verwirklichung meines Wunsches mein angeborener Gerechtigkeitssinn. Unschuldige durften nicht leiden. Und dann, ganz plötzlich, kam mir eine Idee, ausgelöst durch eine im Zuge einer harmlosen Unterhaltung gemachte Bemerkung. Ich sprach mit einem Arzt, irgendeinem gewöhnlichen praktischen Arzt. Er redete unter anderem auch davon, wie häufig ein Mord geschah, ohne daß das Gesetz sich einschaltete. Und er erwähnte sogar einen bestimmten Fall - den einer alten Dame, einer Patientin von ihm, die kürzlich gestorben war. Er persönlich sei überzeugt, sagte er, daß die Schuld an ihrem Tod zwei Hausangestellte treffe, ein Ehepaar. Die beiden haben der alten Dame ein bestimmtes rettendes Medikament nicht rechtzeitig gegeben, weil sie testamentarisch als Erben eines beträchtlichen Vermögens eingesetzt gewesen seien. Derartige Dinge könne man kaum beweisen, erklärte er, doch er sei sicher, daß seine Vermutung stimme. Er fügte noch hinzu, daß sich ähnliche Fälle immer wieder ereigneten - Fälle von vorsätzlichem Mord -, deren Urheber gesetzlich nicht belangt werden könnten. Das war der Anfang der ganzen Geschichte. Plötzlich sah ich meinen Weg klar vor mir. Und ich beschloß, nicht nur einen einzigen Mord zu begehen, sondern im großen Stil zu operieren.
Ein Lied kam mir in den Sinn, kindliche Reime über zehn kleine Negerjungen.
Schon als Zweijähriger war ich ganz begeistert davon gewesen. Die Unerbittlichkeit,
mit der sie immer weniger wurden, das Schicksalhafte zog mich an. Insgeheim
begann ich, Opfer zu suchen. - Agatha Christie, Zehn kleine Negerlein.
München u.a. 1996 (zuerst 1951)
(3) ist die ältere Tochter der
Langeweile - darum findet man so viel Ehrgeiz in den
Klöstern - der Vater der Heuchelei;
und die Heuchelei erzeugt mit der Not .eine zweite Langeweile,
die der Urenkel der ersten ist und nicht ganz dem Großvater gleicht. Die eine
ist eine sanfte, ruhige, einschläfernde Langeweile, die andere ätzend; man stirbt
schließlich an ihr. - (
gal
)
Ehrgeiz
(4) Diese alle, die
dort auf alle Seiten hin und her scharwenzeln und zu Hofe kriechen und da sagen,
daß sie Patrioten sind, und was weiß ich: Arrenden, Arrenden wollen sie haben,
diese Patrioten! Die eigne Mutter, den Vater, Gott selbst verkaufen sie für
bares Geld, diese Streber, diese Judasse! Das macht alles der Ehrgeiz, und der
Ehrgeiz kommt daher, weil unter der Zunge ein ganz kleines
Bläschen ist, und im Bläschen ein winziger Wurm, nicht
größer als ein Stecknadelkopf -und dies alles macht ein gewisser Barbier, der
in der Stallhofstraße wohnt. -
Nikolai Gogol, Tagebuch eines Wahnsinnigen. In: N. G., Ausgewählte Erzählungen.
Zürich 1979 (detebe 20624)
Ehrgeiz
(5), dieses stolze Gelüst oder trockene
Dürsten nach Auszeichnung, ist eine große Seelenpein, die sich aus Neid,
Stolz und Begehrlichkeit
zusammensetzt, eine ritterliche Verrücktheit, wie jemand gesagt hat, ein schmackhaftes
Gift; Ambrosius redet von einem seelischen Krebsschaden und einer verborgenen
Pest und Bernhard von schleichender Vergiftung. Ehrgeiz gilt ihm als Vater des
Neids und Mutter der Heuchelei, als Mottenfraß des Heiligen und Ursache des
Wahnsinns, der alles quält und in Unruhe versetzt, dessen er habhaft werden
kann. Seneca nennt ihn eine wetterwendische, eitle, ängstliche und übereifrige
Gemütsverfassung. Denn diejenigen, die wie Sisyphus den Stein des Ehrgeizes
ruhelos vor sich herrollen, schinden sich unentwegt ab, ohne jemals aus den
Schwierigkeiten herauszukommen. Sie sind ständig im Zweifel, furchtsam, mißtrauisch,
peinlich darauf bedacht, niemanden in Wort oder Tat zu verletzen. Vielmehr tun
sie vertraulich, selbst wenn sie jemanden hintergehen, und das Umarmen, Hutziehen,
Katzbuckeln, Beklatschen, Schmeicheln, über Abwesende Herziehen und Besuchemachen
will kein Ende nehmen. Vor allen Türen warten diese leutseligen Gesellen und
heucheln Aufrichtigkeit und Demut; und wenn das nichts nutzt, dann gelangen
die nach Anerkennung Dürstenden und vom Ehrgeiz Besessenen eben auf krummen
Wegen ans Ziel ihrer Wünsche. Aus ihren Löchern winden sie sich nach Cyprian
zu allen Ämtern und Ehrentiteln empor, wenn man sie nur läßt. - (bur)
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