hrgeiz    Degas war ein großer und strenger Künstler, der, im tiefsten eigenwillig und von seltenem, wachem, scharfem und rastlosem Verstande, hinter der Unbedingtheit seiner Meinungen und der Strenge seiner Urteile einen unerklärlichen Zweifel an sich selber, eine durch nichts zu befriedigende Ungenügsamkeit verbarg — äußerst bittere und äußerst edle Regungen, in welchen seine feine Kenntnis der Meister, seine Begierde nach Geheimnissen, die er in sie hineinsah, seine unablässige Beschäftigung mit ihren sich gegenseitig ausschließenden Vorzügen ihn bestärkten. Kunst — darunter verstand er Probleme einer gewissen Mathematik, die noch subtiler ist als die gewöhnliche und die bis jetzt niemand zu formulieren vermocht hat, ja von deren Vorhandensein nur die wenigsten etwas ahnen können. Er gebrauchte gern den Ausdruck »gelehrte Kunst«; er pflegte zu sagen, ein Gemälde sei das Ergebnis einer Reihe rechnerischer Operationen . . . Dieweil der naive Betrachter sich die Entstehung von Kunstwerken aus dem glücklichen Zusammentreffen eines Stoffes und einer Begabung erklärt, zögert ein so tiefer Künstler — tiefer vielleicht, als man sein sollte — den Augenblick des Genusses hinaus, schafft selbst den Widerstand, fürchtet den kürzesten Weg.

Degas wies jede Leichtigkeit von sich, wie er alles von sich wies, was nicht den einzigen Inhalt seines Denkens betraf. Im Grund war ihm nur daran gelegen, vor sich selber zu bestehen.  - (deg)

Ehrgeiz (2)   Mir geht der Ruf voraus, ein Richter zu sein, der schnell die Todesstrafe verhängt. Das ist nicht gerecht. In meinen Plädoyers habe ich mich stets getreulich an den Buchstaben des Gesetzes gehalten.

Ich habe immer nur eines getan: Ich versuchte, die Geschworenen vor den emotionalen Angriffen einiger unserer gefühlsbetonteren Anwälte auf ihr Gemüt zu bewahren. Deshalb machte ich sie immer wieder auf das tatsächlich vorliegende Beweismaterial aufmerksam.

Seit einigen Jahren spüre ich, daß in mir eine Änderung vor sich geht. Meine Selbstbeherrschung läßt nach, es wächst das Verlangen zu handeln, nicht nur zu richten. Lassen Sie es mich offen gestehen: Ich hatte selbst den Wunsch, einen Mord zu begehen! Ich erkannte darin das Verlangen des Künstlers nach Ausdruck. Ich war ein talentierter Mörder, oder jedenfalls hatte ich das Zeug dazu. Meine durch die beruflichen Umstände stets im Zaum gehaltene Phantasie erstrahlte in mir mit riesiger Kraft. Ich mußte, ja, ich mußte einen Mord begehen! Und was noch wichtiger war, es durfte kein gewöhnliches Verbrechen sein! Es sollte etwas Phantastisches sein, etwas Unerhörtes, noch nie Dagewesenes! Das ist wohl der einzige Punkt, in dem ich offenbar immer noch denke wie ein Halbwüchsiger. Es sollte ein spektakulärer Fall werden, etwas Einmaliges. Ich wollte töten. Ja, ich wollte töten... Vielleicht mag es manchem widersinnig erscheinen - aber gleichzeitig quälte und behinderte mich bei der Verwirklichung meines Wunsches mein angeborener Gerechtigkeitssinn. Unschuldige durften nicht leiden. Und dann, ganz plötzlich, kam mir eine Idee, ausgelöst durch eine im Zuge einer harmlosen Unterhaltung gemachte Bemerkung. Ich sprach mit einem Arzt, irgendeinem gewöhnlichen praktischen Arzt. Er redete unter anderem auch davon, wie häufig ein Mord geschah, ohne daß das Gesetz sich einschaltete. Und er erwähnte sogar einen bestimmten Fall - den einer alten Dame, einer Patientin von ihm, die kürzlich gestorben war. Er persönlich sei überzeugt, sagte er, daß die Schuld an ihrem Tod zwei Hausangestellte treffe, ein Ehepaar. Die beiden haben der alten Dame ein bestimmtes rettendes Medikament nicht rechtzeitig gegeben, weil sie testamentarisch als Erben eines beträchtlichen Vermögens eingesetzt gewesen seien. Derartige Dinge könne man kaum beweisen, erklärte er, doch er sei sicher, daß seine Vermutung stimme. Er fügte noch hinzu, daß sich ähnliche Fälle immer wieder ereigneten - Fälle von vorsätzlichem Mord -, deren Urheber gesetzlich nicht belangt werden könnten. Das war der Anfang der ganzen Geschichte. Plötzlich sah ich meinen Weg klar vor mir. Und ich beschloß, nicht nur einen einzigen Mord zu begehen, sondern im großen Stil zu operieren.

Ein Lied kam mir in den Sinn, kindliche Reime über zehn kleine Negerjungen. Schon als Zweijähriger war ich ganz begeistert davon gewesen. Die Unerbittlichkeit, mit der sie immer weniger wurden, das Schicksalhafte zog mich an. Insgeheim begann ich, Opfer zu suchen. - Agatha Christie, Zehn kleine Negerlein. München u.a. 1996 (zuerst 1951)

Ehrgeiz (3)  ist die ältere Tochter der Langeweile - darum findet man so viel Ehrgeiz in den Klöstern - der Vater der Heuchelei; und die Heuchelei erzeugt mit der Not .eine zweite Langeweile, die der Urenkel der ersten ist und nicht ganz dem Großvater gleicht. Die eine ist eine sanfte, ruhige, einschläfernde Langeweile, die andere ätzend; man stirbt schließlich an ihr. - (gal)

Ehrgeiz (4)    Diese alle, die dort auf alle Seiten hin und her scharwenzeln und zu Hofe kriechen und da sagen, daß sie Patrioten sind, und was weiß ich: Arrenden, Arrenden wollen sie haben, diese Patrioten! Die eigne Mutter, den Vater, Gott selbst verkaufen sie für bares Geld, diese Streber, diese Judasse! Das macht alles der Ehrgeiz, und der Ehrgeiz kommt daher, weil unter der Zunge ein ganz kleines Bläschen ist, und im Bläschen ein winziger Wurm, nicht größer als ein Stecknadelkopf -und dies alles macht ein gewisser Barbier, der in der Stallhofstraße wohnt. - Nikolai Gogol, Tagebuch eines Wahnsinnigen. In: N. G., Ausgewählte Erzählungen. Zürich 1979 (detebe 20624)

Ehrgeiz (5), dieses stolze Gelüst oder trockene Dürsten nach Auszeichnung, ist eine große Seelenpein, die sich aus Neid, Stolz und Begehrlichkeit zusammensetzt, eine ritterliche Verrücktheit, wie jemand gesagt hat, ein schmackhaftes Gift; Ambrosius redet von einem seelischen Krebsschaden und einer verborgenen Pest und Bernhard von schleichender Vergiftung. Ehrgeiz gilt ihm als Vater des Neids und Mutter der Heuchelei, als Mottenfraß des Heiligen und Ursache des Wahnsinns, der alles quält und in Unruhe versetzt, dessen er habhaft werden kann. Seneca nennt ihn eine wetterwendische, eitle, ängstliche und übereifrige Gemütsverfassung. Denn diejenigen, die wie Sisyphus den Stein des Ehrgeizes ruhelos vor sich herrollen, schinden sich unentwegt ab, ohne jemals aus den Schwierigkeiten herauszukommen. Sie sind ständig im Zweifel, furchtsam, mißtrauisch, peinlich darauf bedacht, niemanden in Wort oder Tat zu verletzen. Vielmehr tun sie vertraulich, selbst wenn sie jemanden hintergehen, und das Umarmen, Hutziehen, Katzbuckeln, Beklatschen, Schmeicheln, über Abwesende Herziehen und Besuchemachen will kein Ende nehmen. Vor allen Türen warten diese leutseligen Gesellen und heucheln Aufrichtigkeit und Demut; und wenn das nichts nutzt, dann gelangen die nach Anerkennung Dürstenden und vom Ehrgeiz Besessenen eben auf krummen Wegen ans Ziel ihrer Wünsche. Aus ihren Löchern winden sie sich nach Cyprian zu allen Ämtern und Ehrentiteln empor, wenn man sie nur läßt.    - (bur)

Ziel Ehre Ehre

 

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Wille
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