hre   Die Ehre spielte schon früh in seinem Leben eine Rolle. Er hielt sich an ihren Kodex und verteidigte ihn verbissen. 1951 ging er ins Gefängnis, weil er und zwei andere Verwalter des Bürgschaftsfonds für den Civil Rights Congress sich weigerten, die Namen der Beitragleistenden zu verraten. Tatsächlich verhielt es sich so, daß Hammett nie im Büro des Komitees gewesen war und kein einziges Mitglied kannte. Am Abend, bevor er vor Gericht erscheinen sollte, fragte ich ihn: »Warum sagst du nicht, daß du die Namen nicht kennst?« — »Nein, das kann ich nicht.« — »Warum denn nicht?« — »Ich weiß nicht, warum.« Nach einem angespannten Schweigen fügte er hinzu: »Ich schätze, es hängt damit zusammen, daß ich mein Wort halten möchte, aber ich mag nicht darüber reden. Es wird nicht viel passieren, außer daß wir wahrscheinlich für ein paar Monate eingesperrt werden. Aber du sollst dir keine Sorgen machen, weil...«, und dann konnte ich ihn plötzlich nicht mehr verstehen, weil er die Stimme senkte und die Worte auf eine für ihn ganz untypische Art hervorsprudelte. Ich sagte ihm, ich könnte ihn nicht hören. Da wandte er das Gesicht ab und sagte laut: »Mich widert dieser verdammte Schwulst an, aber ich sag' dir wohl lieber gleich, daß ich aufs Gefängnis pfeife. Wenn's sein müßte, würde ich sogar mit meinem Leben für das einstehen, was ich für Demokratie halte. Ich lasse mir doch nicht von Polizisten und Richtern meine Auffassung von Demokratie vorschreiben.« Dann ging er nach Hause und ins Bett und am folgenden Tag ins Gefängnis. - Lillian Hellman, Vorwort zu Dashiell Hammett: Raubmord. Frankfurt am Main und Berlin 1968 (Ullstein Buch 1204)

Ehre (2) Man macht den Geist des Rittertums lächerlich. Man lacht über die, welche Gefahren in fremden Ländern gesucht, und vergißt, die sich ihnen ausgesetzt haben. Die Ehre schwindet. Lösten Heiterkeit und Vergnügen sie ab, so hätte man einen Trost. Aber man langweilt sich: und dies aus demselben Mangel an Energie. Die sogenannte Philosophie des Jahrhunderts ist Leidenschaftslosigkeit; sie ist zerstörend. Nur wer die wahre Seelengröße hat, hat für gewöhnlich auch den feinsten Geschmack, das größte Talent, sich zu unterhalten. Sie sind beweglich. Die andern vegetieren und bedrücken nur die Welt mit der traurigen Last ihrer Existenz. - (lig)

Ehre (3) Ein Freund von mir, der aus Italien zurückkehrte, hatte dort eine Dame gesprochen, der das Buch nicht gefiel. Ich bedauerte das natürlich; was mich aber überraschte, das war der Grund ihrer Abneigung. »Wissen Sie«, hatte sie gesagt, »es ist alles so morbide.«

Die Bemerkung gab mir Nahrung zu stundenlangem ängstlichem Nachdenken. Schließlich gelangte ich zu der Überzeugung, daß — auch unter Berücksichtigung der Befremdlichkeit, die das Thema für das normale Empfinden einer Frau haben muß — jene Dame keine Italienerin gewesen sein kann. Ich frage mich, ob sie überhaupt eine Europäerin war. Jedenfalls würde kein romantisches Temperament etwas Morbides in dem durchdringenden Bewußtsein verlorener Ehre entdecken. Solch ein Bewußtsein mag falsch sein, oder es mag richtig sein, oder es mag als künstlich verurteilt werden; und vielleicht ist mein Jim kein Typ, der sehr verbreitet ist. Aber ich kann meinen Lesern freilich versichern, daß er nicht das Produkt kalter, abseitiger Überlegung ist. Er ist auch nicht eine Figur aus nördlichen Nebeln. Eines schönen Sommermorgens sah ich seine Gestalt in der gewöhnlichsten Umgebung einer Hafenstadt des Ostens vorübergehen - einnehmend - bedeutsam - im Zwielicht.- vollkommen still. Wie es auch sein sollte. Meine Sache war es, mit aller Sympathie, deren ich fähig war, die rechten Worte für das zu finden, was er bedeutete. Er war ›einer von uns‹. - Joseph Conrad, Vorbemerkung zu: Lord Jim. Frankfurt am Main 1970 (zuerst 1917)

Ehre (4) »Und Imray Sahib soll insgeheim nach Europa gereist sein? Ist das nicht sehr sonderbar, Bahadur Khan? Was meinst du?«
»Was weiß ich von den Gebräuchen der Weißen, Himmelsentsprossener? !«
»Sehr wenig, freilich. Aber du sollst sogleich mehr darüber erfahren. Ich habe nämlich gehört, daß Imray Sahib von einer sehr langen Reise zurückgekehrt ist und gerade jetzt im Zimmer nebenan liegt und auf seinen Diener wartet.«
»Sahib!«
Das Lampenlicht huschte über den Gewehrlauf, wie er sich schnell emporrichtete - mit der Mündung gegen Bahadur Khans breite Brust.
»Geh hinein und überzeug dich selbst! Dein Herr ist müde und man wartet drinnen auf dich. Geh!«
Der Mann ergriff eine Lampe und ging in das Eßzimmer. Strickland folgte ihm auf dem Fuße, schob ihn fast vorwärts mit der Flintenmündung.
Bahadur Khan warf einen schnellen Blick in die gähnende Tiefe des Dachgebälks über dem Baldachin, dann auf die zuckende Schlange auf dem Fußboden und schließlich mit einem gläsernen Ausdruck im Gesicht auf das Ding unter dem Tischtuch.
»Hast du gesehen?« fragte Strickland nach einer Pause.
»Ich habe gesehen. Ich bin Erde in der Hand des weißen Mannes. Was gedenkt der Erhabene zu tun?«
»Dich diesen Monat noch aufknüpfen lassen. Was denn sonst?«
»Weil ich ihn getötet habe? Aber Sahib! Bedenke: während wir Imray Sahib bedienten, fiel sein Blick auf mein Kind — ein Knabe von vier Jahren. Er hat es behext. In zehn Tagen starb es an Fieber - mein Kind!«
»Was hat Imray Sahib gesagt?«
»Er hat gesagt, es sei ein schönes Kind, und hat ihm den Kopf gestreichelt. Deshalb ist mein Kind gestorben. Deshalb habe ich Imray Sahib getötet in der Dämmerung, als er aus seinem Amt gekommen war und schlief. Deshalb habe ich ihn nach oben unter die Balken geschleppt und das Dachtuch wieder festgemacht. Der Himmelsentsprossene weiß alle Dinge. Ich bin der Diener des Himmelsentsprossenen.«
Strickland warf mir über die Flinte hinweg einen Blick zu und sagte in der Eingeborenensprache: »Du bist Zeuge seines Geständnisses. Er hat getötet.«

Bahadur Khan stand da - aschfahl - im Licht der Lampe. Plötzlich überkam ihn der Trieb, sich zu rechtfertigen. »Ich bin in die Falle gegangen«, sagte er, »aber die Schuld trifft ihn allein: Er hat den bösen Blick auf mein Kind geworfen, und deshalb habe ich ihn getötet und versteckt. Nur die, die von Teufeln bedient werden« - dabei starrte er Tietjens an, die stumpfsinnig vor ihm lag, »nur so jemand konnte erfahren, was ich getan habe.«

»Geschickt hast du's angefangen, Bahadur Khan! Nur hättest du ihn mit einem Strick am Balken festbinden sollen! Jetzt wirst du selbst mit einem Strick - he, Ordonnanz!«Ein schlaftrunkener Polizist, gefolgt von einem zweiten, erschien auf Stricklands Ruf. Tietjens saß merkwürdig still da. »Führt ihn auf die Polizeistation!« befahl Strickland. »Es liegt etwas gegen ihn vor.«

»Werde ich denn gehenkt?« fragte Bahadur Khan. Er machte keinen Versuch zu entfliehen. Seine Augen waren auf den Boden geheftet. »So sicher, wie die Sonne scheint und das Wasser fließt - jawohl«, sagte Strickland.

Bahadur Khan machte einen langen Schritt nach rückwärts, schauderte zusammen und blieb dann unbeweglich stehen. Die beiden Polizisten warteten auf weitere Befehle.

»Geh!« sagte Strickland.

»Ich bin schon unterwegs«, sagte Bahadur Khan. »Ich bin bereits ein toter Mann. Da!« Er hob den Fuß: an seiner Zehe haftete der Kopf der halberschlagenen Schlange, festgebissen in der Agonie des Todes.

»Ich stamme aus landbesitzendem Geschlecht«, sagte Bahadur Khan und schwankte hin und her. »Es wäre eine Schande für mich, zum Galgen zu gehen vor den Leuten, deshalb habe ich diesen Weg gewählt. Es sei mir erlaubt, darauf hinzuweisen, daß des Sahibs Hemden genau abgezählt sind und daß ein extra Stück Seife in der Waschtoilette liegt. Mein Kind ist behext worden, und ich habe den Zauberer erschlagen. Warum mich also mit dem Strick hinrichten? Meine Ehre ist gerettet, und - und ich sterbe

Nach einer Stunde starb er. So, wie man eben stirbt, wenn man von der kleinen, braunen Karait gebissen worden ist.

Die Polizisten trugen ihn und - das Ding unter dem Tischtuch an den Ort, der ihnen bezeichnet wurde.
Das Verschwinden Imrays war jetzt aufgeklärt.
»Und dies«, sagte Strickland seelenruhig, sein Bett erkletternd, »dies nennt man das neunzehnte Jahrhundert! Hast du gehört, was der Mann gesagt hat?«
»Ich hab es gehört«, sagte ich. »Imray hat einen Fehler begangen.«
»Einzig und allein infolge seiner Unkenntnis der Denkungsweise der Orientalen!« ergänzte Strickland. »Dann kam noch ein endemischer Fieberfall dazu - ja. Hm. Bahadur hat ihm vier Jahre lang treu gedient.«

Ich schauderte. Mein eigener Diener stand genau ebenso lang in meinen Diensten. Als ich hinüber in mein Zimmer ging, wartete er dort auf mich, regungslos wie der Kopf auf einer Münze, um mir beim Entkleiden zu helfen. - Rudyard Kipling, Imrays Rückkehr, nach (ki)

Ehre (5)   Das weibliche Geschlecht verlangt und erwartet vom männlichen Alles, nämlich Alles, was es wünscht und braucht: das männliche verlangt vom weiblichen zunächst und unmittelbar nur Eines. Daher mußte die Einrichtung getroffen werden, daß das männliche Geschlecht vom weiblichen jenes Eine nur erlangen kann gegen Uebernahme der Sorge für Alles und zudem für die aus der Verbindung entspringenden Kinder: auf dieser Einrichtung beruht die Wohlfahrt des ganzen weiblichen Geschlechts. Um sie durchzusetzen, muß nothwendig das weibliche Geschlecht zusammenhalten und esprit de corps [Korpsgeist] beweisen. Dann aber steht es als ein Ganzes und in geschlossener Reihe dem gesammten männlichen Geschlechte, welches durch das Uebergewicht seiner Körper- und Geisteskräfte von Natur im Besitz aller irdischen Güter ist, als dem gemeinschaftlichen Feinde gegenüber, der besiegt und erobert werden muß, um, mittelst seines Besitzes, in den Besitz der irdischen Güter zu gelangen. Zu diesem Ende nun ist die Ehrenmaxime des ganzen weiblichen Geschlechts, daß dem männlichen jeder uneheliche Beischlaf durchaus versagt bleibe; damit jeder Einzelne zur Ehe, als welche eine Art von Kapitulation ist, gezwungen und dadurch das ganze weibliche Geschlecht versorgt werde. Dieser Zweck kann aber nur vermittelst strenger Beobachtung der obigen Maxime vollkommen erreicht werden: daher wacht das ganze weibliche Geschlecht, mit wahrem esprit de corps, über die Aufrechthaltung derselben unter allen seinen Mitgliedern. Demgemäß wird jedes Mädchen, welches durch unehelichen Beischlaf einen Verrath gegen das ganze weibliche Geschlecht begangen hat, weil dessen Wohlfahrt durch das Allgemeinwerden dieser Handlungsweise untergraben werden würde, von demselben ausgestoßen und mit Schande belegt.  - (schop)

Ehre (6, ritterliche)   Daß, nach dem Princip der ritterlichen Ehre, der Vorwurf der Lüge als so sehr schwer und eigentlich mit dem Blute des Anschuldigers abzuwaschen genommen wird, liegt nicht daran, daß die Lüge unrecht ist, da alsdann die Anschuldigung eines durch Gewalt verübten Unrechts eben so schwer kränken müßte, was bekanntlich nicht der Fall ist; sondern es liegt daran, daß, nach dem Princip der ritterlichen Ehre, eigentlich die Gewalt das Recht begründet: wer nun, um ein Unrecht auszuführen, zur Lüge greift, beweist, daß ihm die Gewalt, oder der zur Anwendung dieser nöthige Muth abgeht. Jede Lüge zeugt von Furcht: das bricht den Stab über ihn.   - Arthur Schopenhauer, Preisschrift über die Grundlage der Moral (1840)

Ehre (7)   EVERL: Herr Lorenz, ich hab' die Ehr', einen guten Morgen zu wünschen.

LORENZ ohne viel Notiz von ihr %ii nehmen: Grüß d' Frau! wieder nach vorn tretend, für sich: Sie hat die Ehr', einen guten Morgen zu wünschen! - Jetzt hat doch schon alles ein' Ehr'! Was sollen wir Gebildeten sagen, wenn 's ordinäre Volk so daherred't? Für einen Menschen, wie ich bin, ist es was Schreckliches, unter solcher Bagage zu existieren. Mein ganzes Leben war Ehre, durchaus Ehre. Mein Vater hat die Ehre gehabt, herrschaftlicher Portier zu sein; ich habe die Ehre gehabt, als herrschaftlicher Portierssohn erzogen zu werden; durch Fleiß, Talent und Patronanz hab' ich mich zur Ehrenstelle eines herrschaftlichen Haus-knechtsgeh Ulfen emporgeschwungen, da hat eine Ehrensache meine ganze Karriere zerstört. Der herrschaftliche Roßwarter ist mit dem Stallbesen an das herrschaftliche Kuchelmädel ang'streift, welche mich mit ihrer Lieb' beehrt hat, ich geb* ihm eine Ohrfeigen, der Haushofmeister hat die Ehre gehabt, dazuzukommen, und mich an die Wand zu werfen, ich versichere ihm auf Ehre, daß er auch eine kriegt, wenn er nicht weitergeht; er macht auf das der Herrschaft eine besoffene Schilderung von mir, und ich hab' auf herrschaftlichen Befehl die Ehre gehabt, mit Schand' und Spott davongejagt zu werden. So war mein ganzes Leben Ehre, und soll es auch bleiben; selbst in meinem jetzigen Stand halt' ich darauf, und trachte so viel als möglich, bei Familien Holz zu hacken, wo es mir zur Ehre gereicht, wenn ich sagen kann: Die und die haben heut' Holz gehabt mit Selbstgefühl: und ich war dabei.  - Johann Nestroy, Die verhängnisvolle Faschingsnacht In: J. N., Werke, Hg. O. M. Fontana. Darmstadt 1968 (zuerst 1841)

Ehrgefuehl Gesellschaft
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