ckensteher  »Nähertreten«, sagt der Aktuarius.

»Schön«, sagt Nante, tritt näher, streicht sich die Haare aus dem Gesicht und nimmt eine imposante Stellung ein. »Jetzt können Sie mir jenießen, Herr Justiz.«

A.: »Wie nennt er sich?»

N.: »Du.«

A.: »Was soll das?«

N.: »Na ja, Du nenn ick mir, ick wer doch nich Sie zu mir sagen.«

A.: »Wie er heißt, will ich wissen. Ist er nicht der Eckensteher Nante?«

N.: »Ja; dieser schmeichle ick mir zu sind. Tun Sie man nich so, als kennen Sie mir nich. Wer soll ick denn sind, wenn ick nich Nante wäre. Nante bleibt Nante, allemal derjenichte welcher.«

A.: »Geboren?«

N.: »Ja, geboren bin ick. Je suis. Entschuld'jen Se, wenn ich manchmal een bißken französisch unter meine Reden jieße.«

A.: »Ich frage, wo er geboren ist.«

N.: »Ach so, wo! In de Roßstraße, aber als Mensch. Eh ick jeboren wurde, wohnt' ick bei meine Mutter. Nachher zog ich aus und schrie, weil ick man zwee Beene hatte. Nachher kricht ich Zähne.«

A.: »Zehn Beine?«

N.: »Zähne hab ick jekricht. Hier sind sie ja noch. Det is eben det Pech, det man Zähne kricht und nichts zu beißen hat.«

A.: »Religion?«

N.: »Religion?«

A.: »Welcher Religion Sie sind?«

N.: »Ach so, ick dachte, ick sollte Ihnen nachsprechen. Evanjelisch!«

A.: »Sind Sie schon einmal in Untersuchung gewesen?«

N.: »Nee, Jott bewahre! Zweemal! Eenmal, wie ick keene Arbeit hatte, untersucht ick mir, ob ick nich von Wind leben könnte, und kurz druff war ick hier in Untersuchung, weil ick mir bei ein Bäcker zwee Semmeln geborgt hatte, ohne ihm wat zu sagen. Ach ja, und't dritte Mal war ick hier ooch in Untersuchung, weil ick'n Hufeisen jefunden hatte.«

A.: »Darauf in Untersuchung? Sie sind wohl übergeschnappt?«

N.: »Überjeschnappt? Jott bewahre, nich so übeijeschnappt wie Sie - - vielleicht jloben. Ick fand een Hufeisen auf de Straße und wie ick mir't zu Hause begucke, war'n Ferd dran. Des war Pech natürlich.«

A.: »Genug, genug.«

N.: »Schön.« (Dreht sich um und will gehen.)

A.: »Halt, Sie sind noch lange nicht fertig!«

N.: »Ach so, ick dachte, Sie hätten jenuch an meene Unterhaltung. Na is et nich, ooch jut! Denn wer ick Ihn' noch'n paar Jeschichten erzählen. Lieben Se de jraulijen, dann will ick Ihnen eene vortragen, die mir selbst mit meene Frau un drei Kinder passiert is. Wie wir aus't Haus jeschmissen wurden, weil wir nich jleich drei Taler Miete bezahlen konnten.«

A.: »Sehr traurig, aber ich habe keine Zeit, Ihre Geschichten anzuhören. Sie dürfen mich hier nicht länger aufhalten.«

N.: »So, nich länger uffhalten? Nee, ick kann mir ooch nich länger uffhalten, als ick bin. Ick halte mir überall solang uff, wie mir die Natur erschaffen hat. Vorjesetzt wird mir ja doch nischt. Also, denn wer ick man zu Hause Mittagbrot essen. Hier sind Sie ja der einzige Vorjesetzte. Na, denn leb'n Se wohl, Herr Vorjesetzter.« - Adolf Glassbrenner, nach: Walter Benjamin, Beroliniana. München und Berlin 2001

Eckensteher (2)

An der Straßenecke

Im nächsten Jahr wird die Erde uns bedecken.
Jetzt stehen wir hier und sehen den Mädchen,
die vorbeikommen, nach und lachen;
wir wetten auf langsame Pferde und trinken billigen Gin.
Wir haben nichts zu tun; nichts, wo wir hingehen könnten; keiner.
Das vergangene Jahr war das Jahr zuvor und nicht mehr.
Wir waren damals nicht jünger und sind heute nicht älter.

Wir geben uns Mühe auszusehen wie junge Männer aussehn;
hinter unsern Gesichtern fühlen wir nichts, weder so oder so.
Wir werden wahrscheinlich noch nicht ganz tot sein, wenn wir sterben.
Wir waren die ganze Zeit nichts, nicht einmal Soldaten.
Wir sind die Gekränkten, Bruder, die verzweifelte Jugend,
Schlafwandler in einem dunklen furchtbaren Land,
wo Einsamkeit wie ein schmutziges Messer uns an der Kehle sitzt.
Kalt sehen die Sterne uns an, Mensch,
kalte Sterne und Dirnen.

- Kenneth Patchen, nach (mus)

 

Stehen Straßenecke

 

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