urst  Unter uns: Ist das nicht eine sehr merkwürdige Erscheinung, dieser allgemeine und beherrschende Instinkt, der uns treibt, geistige Getränke aufzuspüren?

Der Wein, von allen Getränken das liebenswerteste, stammt vom Anbruch des Weltentages, ob wir ihn nun Noah danken, der ihn zuerst pflanzte, oder Bacchus, der ihn zuerst preßte; und das Bier, eine Idee des Osiris, geht auf Tage zurück, vor denen sich Nebel breitet. Allen Menschen, sogar den sogenannten Wilden, ist der Wille zu geistigen Getränken derart eingeboren, daß sie sämtlich dazu gelangt sind, so beschränkt auch ihre Kenntnisse gewesen.

Sie brachten die Milch ihrer Haustiere in Gärung; sie preßten den Saft verschiedener Früchte und Wurzeln aus, darin sie Elemente der Gärung vermuteten; wo immer man eine Gemeinschaft von Menschen traf, fand man starke Getränke in ihrem Gebrauch, die sie bei ihren Festen tranken, bei Opfer, Hochzeit, Begräbnis, kurzum bei jeder Solennität.

Durch die Jahrhunderte ist der Wein getrunken und besungen worden, und niemand hielt es für möglich, den Weingeist zu destillieren, der seine Potenz ausmacht. Da fanden die Araber die Kunst des Destillierens, zuerst, um Blumengerüche zu extrahieren, namentlich den der Rose, deren Ruhm ihre Verse belebte. Nun erst hielt man es für möglich, im Wein den wirklichen Erreger aufzufinden, der der Zunge so verführerisch schmeichelt, und man entdeckte in einer Kette von Versuchen: Alkohol, Weingeist, Branntwein.

Alkohol ist der Papst unter den Getränken, er steigert die Erregung des Gaumens auf den höchsten Grad; seine variablen Zubereitungen haben neue Quellen des Genusses eröffnet. Gewissen Medikamenten gibt er eine Kraft, die sie nicht hätten ohne diese Lösung. Sogar zur furchtbaren Waffe ist er in unseren Händen geworden, denn die Völker der Neuen Welt sind nicht minder durch den Alkohol als durch Pulver und Blei gebändigt worden.

In jedem Sinne richtet sich also der Geist des Philosophen auf diesen sonderbaren Durst, den Durst nach einem Quell, den die Natur versteckt gehalten — das besondere Gelüste aller Rassen, in allen Klimaten, unter allen Temperaturen.

Ich habe dies Problem zergrübelt, wie viele vor mir — und nun möchte ich diesen Durst nach Gegorenem, den die Tiere nicht kennen, allen Ernstes dem Gefühl der Ungewißheit vor der Zukunft vergleichen, das ebenfalls den Tieren fremd ist, und möchte eins wie das andere als unterscheidende Merkmale der letzten Umwälzung betrachten, die sich unter dem Monde zugetragen. - (bri)

Durst (2) Ein verzehrender Durst, der durch die Strahlen der brennenden Sonne noch verschlimmert wurde, quälte uns endlich dergestalt, daß wir gierig nach dem Urin lechzten, den man in kleinen blechernen Gefäßen abkühlen ließ. Man stellte den kleinen Becher an einen Ort, wo wenig Wasser war, damit der Urin desto schneller kalt würde; oft geschah es, daß man diese Gefäße denen entwendete, die sie hingestellt hatten. Zwar stellte man sie wieder hin, aber erst nachdem sie ausgetrunken waren.

Herr Savigny hat bemerkt, daß der Urin von manchen unter uns schmackhafter war, als der von anderen. Ein Passsagier konnte sich nicht überwinden, ihn zu trinken, und er reichte ihn seinen Gefährten. Doch war dies Getränk nicht so ganz unschmackbaft; mancher Urin aber war dick und beißend.

Bemerkenswert bleibt es immer, daß man gleich nach dem Genuß desselben einen ungemeinen Drang zum Urinieren verspürte. Wir versuchten auch unser Heil mit Seewasser; aber alle diese Mittel stillten nur unseren Durst, um ihn einen Augenblick nachher noch lebhafter zu erregen.  -  Savigny, Corréard: Der Schiffbruch der Fregatte Medusa. Nördlingen 1987 (zuerst 1818)

Durst (3) Die »schreckliche Zufriedenheit«, das ist das Genügen an einer schlechten Anwesenheit, oder, um in unseres Autors Sprache zu sprechen: der Ausdruck eines Lebensgefühls, das seinen Durst verloren hat.

Es ist, glaube ich, Baudelaires Vorschlag gewesen, das Werk eines Dichters dadurch zu gewinnen, daß man die Worte zusammenstellt, die er immer wieder verwendet. Ich habe das getan und dies Register festgehalten:

Haar — Traum — Nacht — Schlaf — Durst — Sonne — Wind — Leib — Lust — Mund — trinken — schmecken — trunken — Rose — Gras — Regen — Baum — Licht — Phosphor — Feuer — Flamme — Dunst — Duft — Schweiß — Sturz — Tod, und die Farbe: blau. Es sind dies Namen elementarer Dinge, Elemente der Natur und des Leibes, und es gibt ein Wort, dem sie entstammen und in dem sie sich sammeln: ihre Quintessenz heißt: Durst. Dieses Wort, ich habe es zehnmal gezählt, könnte der andere Titel dieses Bandes sein: Stürmisches Begehren nach Anwesenheit.

In diesem Gedicht ist der Durst der Urtrieb, das Lebensprinzip in Natur wie Bewußtsein, der Allbeweger und Allbezwinger unwiderstehlich bis zur Tyrannei. Er ist die Phantasie des Seins und die magische Macht der Poesie: »die wörter wollen ihren namen / die ländereien auf dem gemäuer werden verrückt / die meere mißachten die vorsehung stürmen / die ufer / / die namen nehmen gestalt an schreckliche / bärtige götter sie heulen nach feuer / und schwert sie werfen mich aufs bett / und öffnen mir die schenkel«

Er ist, dieser Durst, die Begierde zu wirken. Begehren nach erfülltem Dasein, nach Sättigung des Leibes wie des Geistes, nach Befriedigung aller Bedürfnisse derart, daß immer neue aufkeimen können; ein Durst nach Schönheit, nach Wissen, nach Rausch wie Bewußtsein, nach Sinn wie Sinnenhaftigkeit. Es ist der Durst nach der Anwesenheit des Fasans auf dem Brikettberg in Meuselwitz - eine Episode, die natürlich ein Traum ist, auch wenn sie wirklich geschehen sein sollte (was tatsächlich der Fall gewesen ist), aber Fasane sind nun einmal nicht grün und haben keinen gelben Schnabel und keinen roten Reif um den silbernen Hals. Der Fasan sagt die Sehnsucht nach dem Traum, wie die Sehnsucht, der Träume nicht mehr zu bedürfen, da die Wirklichkeit es ihnen gleichtut, phantastischer als jede Kunst und lächelnd über die Mühen der Mythen. Diese Sehnsucht ist reflektiert und ist doch die große Kindersehnsucht, oder besser: die Sehnsucht nach einer Zeit, darin Sehnen und Sein noch vereinigt waren, da die Wünsche, auch die absurden, im Spiel des Kinds sich realisierten. Es ist der Durst nach Rausch und Bewußtsein, der diesen Mann im Kesselhaus ins Abenteuer moderner Dichtung gerissen, zur Begegnung des Regenschirms mit der Nähmaschine auf dem Operationstisch, wie eine berühmte Definition des Surrealismus festhält und über alles hin aufs bateau ivre Rimbauds, das Trunkene Schiff aller Jünglingsträume, dem er als Tellerwäscher in Mecklenburg in Gestalt einer getippten Abschrift begegnete, und darauf er, ein großes, staunendes Kind, das Meer in Sachsen hinuntertreibt, durch Meuselwitz bis Senftenberg und Schkopau: »ich bin ein wahnsinniges kind man erlaubt mir / das violette distelfeld eines Spätsommers zu verwüsten / zu stampfen im bach mit einer haut von kohlenstaub ... ich bin das kind dem erlaubt ist / vom graugrünen meer zu wissen / doch einst / war ich älter/ vom meer durchwogt von der masse seiner goldenen vegetation / erfüllt vom laich einer sonnigen brut die gottes / unglück uns verlor / vom geruch riesiger goldener tabakblätter überm meer / von der strahlenden energie des kohlenstoffs im meer / die den samen / neuer menschen gebar ...«

Man muß all diese Gedichte des Sinnenrausches, der Anwesenheit im Sinnenhaften, dem Schwelgen im Glück des Verschwendens von Schönheit vor der Folie seines Anfangs sehen; daraum habe ich so lange bei ihm verweilt. - Das Paradox entspringt einem Durst nach Da-Sein im naiv wörtlichen Sinn des Wortes. - Es ist der Durst des Ackers nach Regen, des Zunders nach Feuer, des Blitzes nach dem Erdgrund und der Pollen nach Wind; es ist der Durst der Planeten nach einem Behauser und der Durst der Behauser nach neuen Welten; es ist der Durst Fausts, den das Pergament nicht löschte; der Durst Hiobs nach einem Sinn seiner Plagen; der Psalmendurst nach Gerechtigkeit; der Durst Don Juans und der Durst Marco Polos; der Durst, mit dem trunkenen Boot zu treiben; der Durst des armen Volks in der Wüste; der gute Durst Gargantuas und der Durst des Mannes im Kesselhaus nach acht Stunden vor dem Feuerloch, der Durst aller Poren im trockenen Beton, der Durst auf den sommerzerglühten Feldern, doch er schlägt in der einzigen Möglichkeit eines Gelöschtwerdens fast nur mit Surrogaten, die ihn immer brennender machen (so wie Lake den Durst nur stachelt statt stillt), in den Durst nach bloßem Ende des Dursts um, in den Durst, einer Wirklichkeit zu entfliehen, die Begierden erzeugt, ohne sie zu befriedigen; der gute Durst wird schlechter Durst, und seine Befriedigung schafft einen Zustand schrecklicher Zufriedenheit anderer Art: statt des Trunkenseins das Betrunkensein. - Franz Fühmann, Praxis und Dialektik der Abwesenheit. Eine imaginäre Rede. Nach: F.F., Den Katzenartigen wollten wir verbrennen. München 1988 (dtv 10844)

Durst (4)  Da steht er, so liest man in unserem Homer, in einem Teich. Bis zum Kinn reicht ihm das Wasser. Von Durst wird er gequält und trinken kann er nicht. Beugt er sich, der Alte, um zu trinken, so verschwindet das Wasser wie aufgesogen, und zu seinen Füßen zeigt sich die schwarze Erde. Hohe Bäume lassen die Früchte auf seinen Kopf herabhängen. Will der Alte sie mit der Hand ergreifen, so wirft sie ein Windstoß bis zu den Wolken hinauf.  - (kere)

Durst (5) Mitten in der Nacht bekam der Riese Durst. Er rief seinen kahlen, rauhhäutigen Knecht, er solle ihm Wasser bringen. Der kahle, rauhhäutige Knecht sagte, es sei nicht ein Tropfen im Hause. »So töte eines der fremden Mädchen«, sagte er, »und bringe mir ihr Blut.« - »Wie soll ich sie herauskennen?« fragte der kahle, rauhhäutige Knecht. »Um den Hals meiner Töchter sind Ketten aus Bernstein gelegt und Schnüre aus Roßhaar um den Hals der anderen.«

Maol a Chliobain hörte, was der Riese sagte, und tat, so schnell sie konnte, die Schnüre aus Roßhaar, die sie und ihre Schwestern um den Hals trugen, den Riesentöchtern um den Hals; und die Bernsteinketten, die die Riesentöchter um den Hals trugen, tat sie sich selbst und ihren Schwestern um den Hals; und dann lag sie ganz still.

Der kahle, rauhhäutige Knecht kam, tötete eine der Riesentöchter und brachte dem Riesen das Blut. Der verlangte mehr Blut. Der Knecht tötete die nächste. Der Riese verlangte noch mehr Blut, und der Knecht tötete die dritte.

Maol a Chliobain weckte ihre Schwestern, nahm sie auf ihren Rücken und machte sich eilends auf den Weg. Der Riese merkte, daß sie wegging, und er folgte ihr. Die Feuerfunken, die sie mit ihren Hacken aus den Steinen schlug, die trafen den Riesen am Kinn, und die Feuerfunken, die der Riese mit den Spitzen seiner Schuhe aus den Steinen schlug, die trafen Maol a Chliobain am Hinterkopf.

So ging es fort, bis sie zu einem Fluß kamen. Sie riß sich ein Haar aus, machte eine Brücke daraus und kam über den Fluß, und der Riese konnte ihr nicht folgen. »Du bist drüben, Maol a Chliobain.« »Ich bin drüben, wenn es auch hart für dich ist.«  - (schot)

Durst (6) Neben der Theke saß, solange ich zurückdenken kann, ein ausgemergelter Mann, hager und braungebrannt, in alter, abgerissener Maurerkleidung. War Heini zugegen und seine Tante einmal fortgegangen, so zupfte der Mann Heini schüchtern am Ärmel und bat flehentlich mit heiserer Stimme um Schnaps. Heini holte dann schnell eine der großen Flaschen, füllte eine der größeren Trinkflaschen, bis sie überfloß — und im Nu, die Augen andächtig geschlossen, kippte der Mann den Spiritus auf einen langen Zug in sich hinein. Nachher gab ihm Heini immer noch eine Handvoll sogenannter russischer Zigaretten mit Pappmundstück aus einem stets bereitstehenden losen Karton. Schnaps und Zigaretten waren beide von der billigsten Sorte, aber dem, der hier Vergessen und Betäubung suchte, machte das wenig aus.

Dieser einsame ewige Gast wurde ein guter Freund von Heini und mir. Es stellte sich heraus, daß er den Hererofeldzug in Deutsch-Südwestafrika als freiwilliger Schutztruppenreiter mitgemacht hatte, dort Malaria bekommen hatte, schließlich verwundet worden und somit nach Beendigung seines Abenteuers als Soldat in seine Heimatstadt Stolp zurückgekehrt war. Der war natürlich fertig. Zuerst mochte er noch mit seinen Geschichten Anklang gefunden und seine Medaillen und exotischen Andenken herumgezeigt haben, aber nach kurzer Zeit kümmerte sich niemand mehr um ihn. Die Leute lachten nur: «Kiek ma, da sitzt ja der Afrikaner mit seinen ewigen Durstgeschichten von der Schutztruppe ...» Allmählich war er ihnen langweilig geworden. Kaum einer lud ihn noch ein zu Schnaps oder Bier.

Arbeiten — das könne er nun nicht mehr, sagte er einmal zu uns, als wir drei in der Sonne auf dem Dach der Badeanstalt an der Stolpe lagen. «Wie kann ich denn bei dem Durst arbeiten?» fragte er. «Ja, siehst Du, das kriegen die alle da bei die Schutztruppe, da kriegen die das, den ewigen Durst ... Da wirst Du ganz verrückt von, siehst Du, Heini, Sonne und Staub und Sonne und nachts friert dir's Mark in die Knochen, und die Wasserlöcher hatte der verdammte Witboi schon leergemacht und versaut.. Durst, Junge — Junge, Durst, das versteht Ihr noch nicht ... Da wurde einer in unserer Schwadron vollkommen Manoli — Mensch, der pinkelte in seinen Hut und tranks aus ... Ja, so war das — Georg, gib ma die Pulle, und Streichhölzer — nu wer ich Euch mal erzählen, was wir damals mit den vier Hererofrauen gemacht haben ...»

Er erzählte uns die fabelhaftesten Geschichten und Abenteuer. Aber jede Geschichte, die ja sowieso fast immer in der Tropensonne und im heißen afrikanischen Busch spielte, endete mit einer entsetzlichen Dürre. «Ja, seht ihr», pflegte er zu sagen, «da draußen bin ich ausgedörrt worden wie eine getrocknete Pflaume. Wie ein Schwamm wirst du da draußen. Und hier innen», fügte er hinzu, «ist es eben immerzu, als ob was brenne. Tja. Da muß ich eben immerzu draufgießen — immerzu draufgießen», sagte er und nochmals und wieder zu seiner geliebten Flasche, die Heini ihm, bevor wir zum Baden gingen, heimlich gefüllt hatte. Arbeiten konnte er nicht mehr, aber er konnte die ausgerauchten Pappmundstücke, die noch feucht von der Spucke waren, so kunstvoll an die geweißte Decke werfen, daß sie ornamental und gehorsam nebeneinander herunterhingen wie Stalaktiten. - George Grosz, Ein kleines Ja und ein großes Nein. Sein Leben von ihm selbst erzählt. Reinbek bei Hamburg 1986, zuerst 1955

Durst (7) Die Wurzeln des Eukalyptus verlängern sich auf der Suche nach Feuchtigkeit ganz unglaublich. Ein bekannter Gärtner berichtet, daß einmal eine in ein altes Wasserrohr hineinwuchs und dem Rohr folgte, bis sie zu einer Stelle kam, wo ein Stück von dem Rohr herausgebrochen war, um einer Mauer Platz zu machen, die man quer zu seinem Lauf gebaut hatte. Die Wurzel verließ das Rohr und folgte der Mauer, bis sie eine Lücke fand, wo ein Stein herausgefallen war. Sie wuchs hindurch, auf der anderen Seite der Mauer wieder hinunter, in den von ihr noch unerforschten Teil des Rohres hinein, und nahm ihre Wanderung wieder auf. - Ambrose Bierce, Moxons Herr und Meister. In: A.B., Mein Lieblingsmord. Frankfurt am Main 1974 (it 39)

Durst (8)  Kühnheit  Adelung 1,1621: ein im Hochdeutschen völlig veraltetes Wort für Kühnheit, Verwegenheit.

Oertel 1,260: altd. Keckheit, Kühnheit, Heftigkeit. - DWb. 2,1746 f. bringt Verse aus Logau und Gryphius und bemerkt: die bedeutung geht von kühnheit, entschlossenheit im edlen sinn über in keckheit, Verwegenheit, Frechheit, es gehört zu dürren. Untergangsgrund: Homonymie. O. Wiese  schreibet: „durstig 'kühn' von mhd. turren 'wagen' ist vielleicht dem gleichklingenden, von Durst abgeleiteten Worte gewichen; in diesem Fall hätte also deutsche Kühnheit dem deutschen Durste das Feld geräumt." - Nabil Osman, Kleines Lexikon untergegangener Wörter. München 1971

Durst (9)  Die Santalen berichten, wie einmal ein Mann eingeschlafen sei und seine Seele, weil er großen Durst hatte, in Gestalt einer Eidechse seinen Körper verlassen und sich in einen Krug mit Wasser begeben habe, um zu trinken. In dem Augenblicke deckte der Besitzer des Kruges diesen gerade zufällig zu; da konnte die Seele nicht in den Körper zurückkehren, und der Mann starb. Während seine Freunde sich anschickten, den Körper zu verbrennen, deckte jemand den Krug auf, um Wasser zu holen. Auf diese Weise entschlüpfte die Eidechse und kehrte in den Körper zurück, der sich sofort wieder belebte. Da stand der Mann auf und fragte seine Freunde, warum sie weinten. Sie sagten ihm, sie hätten geglaubt, er sei tot und wollten gerade seinen Körper verbrennen. Er erzählte, er sei in einem Brunnen gewesen, um Wasser zu holen, habe es aber schwer gefunden wieder herauszukommen und sei eben zurückgekehrt. Da sahen sie alles ein. - (fraz)

Durst (10)  Die Hachsen der Rinder gehen auf und nieder. Staub legt sich auf den Entdeckungsreisenden wie grauer Pulverschnee. Er steigt ihm in die Nase, sickert ihm in die Kehle. Er kann sie hören, die blöden Viecher, wie sie in hirnloser Zufriedenheit über den Trögen sabbern, wie die wertvollen, seidigen Tropfen von ihren Mäulern triefen und wie Juwelen an den Spitzen ihrer Barthaare hängenbleiben.

„Du willst Wasser?" fragt Sidi. Mungo nickt. Und dann, ganz plötzlich, ohne Vorwarnung, schlagt der Sklave seine jubbah zurück und pinkelt ihn an — scharf und salzig läuft ihm der heiße Urin in den Kragen, durch die Finger, dringt tief in den Stoff seiner Weste ein. Der Entdeckungsreis ende springt voller Zorn auf, verzweifelt und mordgierig, doch Sidi hat sich lachend ein Stück entfernt, und jetzt bücken sich die anderen nach Steinen und Holzstücken. Geschwächt und stinkend steht Mungo da, als die Hirten anfangen, ihn zu bewerfen. „Trink Pisse, Christ!" johlen sie. Er wendet sich ab und trottet in die Nacht davon. - T. Coraghessan Boyle, Wassermusik. Reinbek bei Hamburg 1990

Durst (11)  O vermaledeiete affricanische Wojwodschafft, die wir so ungetruncken und mit eisernen stiefeln durchziehen müssen! Was nützet uns schon die rast unter einem bäume, der freilich schatticht, allein, mit keinem zapfen verziert, daraus man einen malvasier, oder zum wenigsten einen guten steyerischen landwein hätte ziehen lassen können! Man müssete den räuberischen durst in allen sprachen des Metastasio verwüntschen, aber wer könnte das, wann ihme das maul ist ausgetrocknet, und die Zungen geht drinnen von links nach rechts, und von rechts nach links, und findet nirgends einen platz, wo sie möcht rutschen, was ihr ja naturaliter zustehet! Das hält kein rnensch aus, ein durst wie ein wirtshaus!

Da ich mich eine kleine halbe stunde oder mehr unter dem baumschatten liegend in beobachtung solcher gedancken hingegeben, begann der gute Rufus zu schnuppern, und was gibst du, was hast du? war er auf, sprang hinter unsern bäum und rief: »Senor y gospod!« Ich ihm nach .. »was neus?!« »Seht dort hin, dort beim zaun! Ein garten mit einem häuslein dahinter, und aus dem hohen rauchfang zieht der rauch, schnurgerade als ein ehrlicher soldat, in den kochenden himmel auf!«

»Wahrhafftig«, sagte ich, »weme der rauch so gerade steigt, dem kann der wein nicht mangeln. Es ist gewiß ein wirt, und wann mich nicht alles täuschet, so hör ich wie einer die zither schlagt! Was es bei diesen schwartzen waldmohren nicht alles gibt, wann sie dvüisiert sind und in einer anständigen Wojwodschafft leben ..«  - H.C.Artmann, Der aeronautische Sindtbart oder Seltsame Luftreise von Niedercalifornien nach Crain. Ein fragment von dem Autore selbst aus dem yukatekischen anno 1958 ins teutsche gebracht sowie edirt & annotirt durch Klaus Reichert. München 1975 (dtv 1067, zuerst 1958)

Durst (12)   Millemosche, Pannocchia und Carestia bleiben auf ihren Fußsohlen zurücke, und jählings merken sie alle drei, daß sie großen Durst haben.

»Ich habe Durst.«

»Ich auch.«

»Versuch doch, ein bißchen Speichel himmterzuschlucken.«

»Ich hab keinen mehr. Was würde ich nicht alles für einen Tropfen Wassers geben.«

»Erwähnet das Wasser nicht, das machts nur schlimmer.« »Für einen Tropfen von der gewissen Sache, die man nicht erwähnen darf, verzichte ich auf ein geschmortes Kaninchen.«

»Ich auf einen Truthahn.«

»Ich auf ein Schwein.«

»Wenn man bedenkt, daß es Leute gibt, die in der bestimmten Sache, die man nicht erwähnen darf, ertrinken!«

Sie gehen, dann laufen sie auf die Hügel zu. Sie blicken herum auf der Suche nach einem Rinnsal oder auch nur einer Lache. Zuletzt erblicken sie eine Kuh, und so laufen sie auf die Kuh zu, ohne jede Absicht, sie aufzuessen. Sie denken nur an die Milch. Doch als sie bei der Kuh

ankommen, merken sie, daß Menschen Schlange stehen und warten, daß die Reihe an ihnen sei. »Können wir einen Tropfen Milch bekommen?« »Wer seid ihr?«

»Tapfere Soldaten. Es reicht schon ein Tropfen, nur urn uns gerade die Lippen feucht zu machen.«

»Verschwindet, sonst nämlich reißen wir ein Loch in euch und trinken euer Blut.«

Da machen Millemosche, Pannocchia und Carestia sich rasch davon, denn sie begreifen, daß man bei Dürstenden sich in schwere Gefahr begibt. »Ich mag es nicht, wenn die da mich austrinken.«

»Durstige Menschen sind böse und gefährlich.«

»Dann sind auch wir böse und gefährlich.«

»Besser also, daß sie sich fern von uns halten, wenn sie kein böses Ende nehmen wollen.«

»Sie sind noch einmal davongekommen, die armen Hunde.«

Nach einer Weile begegnen Millemosche, Pannocchia und Carestia einer Prozession von Menschen, welche zu einem Heiligen beten, dessen Spezialgebiet der Regen ist. Hin und wieder erscheinen am Himmel runde helle Wölkchen, welche alsogleich wieder verschwinden. Da nimmt der Heilige uns doch auf die Schippe, sagt irgend jemand. Millemosche, Pannocchia und Carestia kommen nun in ein menschenverlassenes Dorf. Nur ist es nicht menschenverlassen, sondern alle sind zur Prozession gegangen. Unsere drei Freunde gehen an den Mauern entlang, um eine Stütze zu haben, sich auf den Füßen zu halten. Mitten unter den niedrigen Häusern steht eine Kathedrale, welche die Häuser überragt. Alle dreie haben im gleichen Augenblicke die gleiche Idee. Sie betreten die Kirche und schleppen sich völlig entkräftet zum Weihwasserbecken. Doch hier steht ein Bischof, der gerade ein Neugeborenes tauft. Just als der Bischof den Täufling ins Weihwasser eintauchen will, tauchen Millemosche, Pannocchia und Carestia ihren Kopf ins Becken und trinken. Der Bischof und die Umstehenden bedecken sie zuerst mit Stoffetzen und Taschentüchern, weil man nicht nackigt in einer Kirche sein darf, dann ziehen sie sie zurück. Im Weihwasserbecken ist auch nicht ein Tropfen geweihtes Wasser geblieben, sie haben alles ausgetrunken.

»Liebe Brüder, wie sollen wir denn jetzt taufen, wo ihr alles Wasser getrunken habet?«

Mülemosche schlägt eine Methode vor. Der Bischof spricht die rituellen Worte, und er, an seinen Haaren gehalten gleichwie ein Täufling, spuckt auf den kleinen Kopf des Neugeborenen und spuckt auch auf die umstehenden Verwandten, urn sie zu segnen. - Luigi Malerba, Tonino Guerra: Von Dreien, die auszogen, sich den Bauch zu füllen. Berlin 1969

Trieb Trinken
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