?unst   »Gehn Sie nicht rein, Sir«, bat der Mann; es war das erstemal in seinem Leben, daß er einen potentiellen Kunden nicht ermutigte, sein Geschäft zu betreten. »Um Himmels willen, Sir, bleiben Sie hier bei uns.« Topper schaute den Jungen an.

»Kleiner Mann«, sagte er, »erzähl mir mal, was diese Leute so verschreckt hat.«

»Ich bin nicht verschreckt«, erklärte der Junge, »aber sie fingen alle an zu rennen, und da rannte ich vornweg.« »Ja, aber warum fingen sie an zu rennen?« fuhr Mr. Topper geduldig fort.

»Wegen ihr«, sagte der Junge und deutete auf den Laden. »Wegen wem?« erkundigte sich Topper. »Diese dunstige Lady, die Schlüpfer anprobierte und alles«, antwortete der Junge.

An dieser Stelle fand die Frau, die als erste Trost in der Flucht gesucht hatte, die Sprache wieder. Eine Menschenmenge hatte sich angesammelt, und sie wandte sich an die Menge. »Sie war ganz dunstig«, verkündete die Frau. »Und man konnte total durch sie durchsehn. Ich hab sie erst bemerkt, als ich einen Vorhang zurückzog, um einem dieser Mädchen einige Schlüpfer zu zeigen. Da war sie, so ruhig wie sonst was, und probierte ein Paar Schlüpfer an, ein Paar unserer besten Schlüpfer, und sie war ganz dunstig und durchsichtig, bloß die Schlüpfer schienen real zu sein. Als sie uns sah, kriegte sie's mit der Angst und sauste im Laden herum. Sah so aus, als wären ein Paar Schlüpfer lebendig und anschließend gleich verrückt geworden. Ich fing an zu rennen ...«

»Und ich packte die Schlüpfer«, warf der Mann ein, »aber die dunstige Frau wollte nicht loslassen, also beschloß ich, bevor es Ärger gibt, lauf ich lieber mal raus und schau nach, was mit Lil passiert ist.«

»Es war schrecklich«, verkündete eines der Mädchen. »Ich werd nie vergessen, wie diese Schlüpfer im Laden herumtanzten.« »Unsere besten Schlüpfer«, sagte die Frau. »Ein gutes Paar«, ergänzte der Mann. »Vielleicht sind sie nicht ganz verloren«, schlug Mr. Topper vor. »Weshalb gehen wir nicht zurück und schaun nach? Ich kauf die Schlüpfer, falls die dunstige Frau nicht damit verschwunden ist.«

So attraktiv das Angebot für den Besitzer auch sein mochte, es schien ihm zu widerstreben, es anzunehmen. »Kommen Sie«, sagte Mr. Topper. »Ich geh voran.« »Aber Sir, Sie verstehen nicht«, protestierte der Mann ernsthaft. »Haben Sie je eine durchsichtige Frau gesehen, die in einem echten Paar Schlüpfer herumtanzt?«

»Kommt drauf an, was Sie mit durchsichtig meinen«, erwiderte Mr. Topper schlüpfrig. »Jedenfalls ist es so wesentlich besser, als wenn eine echte Frau in einem durchsichtigen Paar Schlüpfer herumtanzt. « Bei dieser Bemerkung fing die junge Dame, die bis jetzt nach ihrer Mamma geschluchzt hatte, plötzlich zu kichern an und warf dann Mr. Topper einen schelmischen Blick zu. Der Besitzer schien nicht recht überzeugt.

»Nein, das ist es nicht«, sagte er kopfschüttelnd. »Heutzutage kann man das bei fast jeder guten Show sehen, aber nicht das andere, Gott sei Dank. Es ist nicht das, was ich als natürliche Unterhaltung bezeichnen würde - für mich jedenfalls nicht.« »Und während Sie hier herumstehen und reden«, erinnerte ihn Mr. Topper, »probiert die dunstige Lady wahrscheinlich jedes gute Stück in Ihrem Geschäft an.«

»Nun, ich geh jedenfalls nicht zurück, um ihr dabei zuzusehn«, verkündete der Besitzer den anderen. »Wenn einer von euch einer durchsichtigen Frau beim Anprobieren von Unterwäsche zuschaun will, braucht er nur reinzugehn, aber ich rühr mich nicht vom Fleck ohne einen Polizisten - zwei Polizisten«, fügte er nachträglich hinzu. - Thorne Smith, Topper.  Frankfurt am Main 1986 (Fischer Bibliothek der phantastischen Abenteuer 2714, zuerst 1926)

Dunst (2) Unter den vielen Menschen sprach kaum einer englisch. Sie beobachteten sich gegenseitig, mißtrauisch wie verprügelte Tiere. Aus der Menge stieg der säuerliche Dunst der harnigen Schamteile auf wie im Krankenhaus. Wenn sie sprachen, vermied man ihren Atem, denn aus dem Innern der armen Leute riecht man schon den Tod. - (reise)

Dunst (3)  Über den Ruinen lag ein dicker Leichengeruch, denn das Feuer war so stark, daß sich um die Gefallenen niemand kümmerte. Man rannte durchaus auf Leben und Tod, und als ich diesen Dunst im Laufen verspürte, war ich kaum überrascht - er gehörte zum Ort. Übrigens war dieser schwere und süßliche Hauch nicht lediglich widerwärtig; er rief darüber hinaus, eng mit den stechenden Nebeln des Sprengstoffs vermischt, eine fast hellseherische Erregung hervor. - Ernst Jünger, In Stahlgewittern. Stuttgart 1985 (zuerst 1920)

Dunst (4) Die Westfenster, vor denen sein Schreibtisch stand, boten einen prächtigen Ausblick auf die Dächer der Stadt und die mystischen Sonnenuntergänge, die dahinter manchmal flammten. Am fernen Horizont leuchteten die purpurnen Hügel des offenen Landes. Vor diesen, etwa zwei Meilen entfernt, erhob sich geisterhaft Federal Hill mit seinen zahllosen Giebeln, Dächern und Türmen, deren ungewisse Umrisse sich geheimnisvoll verzogen und verzerrten, wenn der Rauch aus den Kaminen der Stadt aufzog und alle klaren Linien mit einem Dunstschleier verhüllte. Blake hatte das eigenartige Gefühl, irgendeine unbekannte, traumhaft ätherische Welt vor sich zu haben, die sich vielleicht — oder auch nicht - in ein formloses Schemen auflösen könnte, sollte er jemals den Versuch unternehmen, sie in eigener Person aufzusuchen oder zu betreten.  - H. P. Lovecraft, Der leuchtende Trapezoeder. In: Cthulhu. Geistergeschichten. Übs. H. C. Artmann. Frankfurt am Main 1972 (st 29, zuerst 1928)

Dunst (5)  Unglaublich, daß sechs, sieben Sanitäter so einen Dunst erzeugen können.

Der Dunst ist aber nicht von den Zigaretten allein gekommen. Obwohl es geraucht hat wie auf einem Schulklo. Und es ist auch nicht nur der Bierdunst gewesen, obwohl die drei Tische übersät waren mit leeren und halbvollen Bierflaschen. Das Kellerstüberl war ja viel zu klein für die Rettungszentrale. Zwei mittlere Pokerrunden, und schon ist es voll gewesen. Und wenn da sechs Männer stundenlang rauchen und sieben Männer saufen (weil der Hansi Münz hat ja nicht geraucht), möchte man meinen, das genügt, daß es einen Dunst hat.

Und es hätte auch genügt, es hätte sogar dreimal genügt. Aber es ist eben nicht der ganze Dunst gewesen.

Siehst du, früher hat man das nicht gewußt, aber heute weiß man es. Mit den Hormonen. Das Sexuelle. Da gibt es ein eigenes Hormon dafür, das hat uns die Natur mitgegeben, und das ist auch an und für sich nichts Schlechtes. Und die Männer haben ein eigenes und die Frauen haben ein eigenes.

Das von den Männern heißt Testosteron, quasi Fachbegriff, aber die Sanitäter haben sich schon ein bißchen ausgekannt mit den Fachbegriffen. Weil Kurse und Schulungen und alles. Da hat man sich aber eigentlich gar nicht auskennen müssen mit den Fachbegriffen, jeder, der das Kellerstüberl in diesem Moment betreten hätte, hätte mit dem Ohnmächtigwerden zu kämpfen gehabt. Weil die Luft ist fast gestanden vor Testosteron.

Weil jetzt wieder Wissenschaft: Wenn der Mann sexuell unterwegs ist, dann schüttet sein Körper dieses Hormon aus. Und wenn sieben Männer so unterwegs sind {weil der Hansi Münz hat zwar nicht geraucht, aber Testosteron trotzdem) und es ist nur ein kleiner Raum, wie es das Kellerstüberl gewesen ist, dann ist das ein Geruch, ich will es nicht näher beschreiben.

Jetzt, wieso dieser Geruch, wirst du dich fragen.

Ich habe gesagt: Sechs Männer haben geraucht und einer nicht. Aber jetzt komme ich erst auf die Weiberseite. Weil es ist auch eine Frau dagewesen. Die Tochter vom alten Lanz ist mitten unter den Fahrern gesessen, und man hat es ihr gleich angesehen, daß sie auch schon ein paar Bier intus gehabt hat.

Die Angelika hat immer noch bei ihrem Vater gewohnt, obwohl sie auch schon auf die Fünfundzwanzig zugegangen ist. Aber die Mutter ist gestorben, wie sie sechzehn war, und seither hat sie für ihren Vater ein bißchen den Haushalt geführt.

Aber nicht, daß du glaubst, die Angelika ein Kind von Traurigkeit. Ganz im Gegenteil. Weil sie war die einzige junge, unverheiratete Frau, die in der Rettungszentrale gewohnt hat. Und rundherum jede Menge Männer, jung und sportlich und Uniform und alles. Ist natürlich die Angelika auch manchmal neugierig gewesen, was sich unter der Uniform befindet.  - Wolf Haas: Komm, süßer Tod. Reinbek bei Hamburg 2018

Nebul Geruch
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{?}
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