Dunkelversuch    Um 8 h nahm ich 0,06 Milligramm LSD ein. Etwa 20 Minuten später traten die ersten Erscheinungen auf: Schwere in den Gliedern, leichte ataktische Zeichen. Es kam eine subjektiv recht unangenehme Phase des allgemeinen Unbehagens, die parallel ging mit der objektiv festgestellten Blutdrucksenkung . . .

Es setzte dann eine gewisse Euphorie ein, die mir aber schwächer erschien als bei einem früheren Versuch. Die Ataxie nahm zu; ich ging ,segelnd' mit großen Schritten im Zimmer umher. Ich fühlte mich etwas besser, legte mich aber ganz gern.

Nachdem das Zimmer verdunkelt worden war (Dunkelversuch), zeigte sich - in zunehmendem Maße — ein nie gekanntes Erleben von unvorstellbarer Intensität. Es war gekennzeichnet durch eine unglaubliche Fülle von optischen Halluzinationen, die mit großer Raschheit entstanden und verschwanden, um zahllosen neuen Gebilden Platz zu machen. Es war ein Emporschießen, Kreisen, Strudeln, Sprühen, Regnen, Kreuzen und Umranken in ständigem jagendem Fluß.

Die Bewegung schien vorwiegend aus der Bildmitte oder aus der linken untern Ecke auf mich zuzuströmen. Zeichnete sich in der Mitte ein Bild ab, so war das übrige Gesichtsfeld gleichzeitig erfüllt von einer Unmenge ähnlicher Erscheinungen. Alle waren farbig; helles leuchtendes Rot, Gelb und Grün herrschten vor.

Es gelang nie, bei einem Bild zu verweilen. Wenn der Versuchsleiter meine große Phantasie betonte, den Reichtum meiner Angaben, so hatte ich dafür nur ein mitleidiges Lächeln. Ich wußte, daß ich nur einen Bruchteil der Bilder überhaupt fixieren, geschweige denn benennen konnte. Ich mußte mich zur Beschreibung zwingen. Die Jagd der Farben und Formen, für die die Begriffe wie Feuerwerk oder Kaleidoskop armselig und nie zureichend waren, weckte in mir das zunehmende Bedürfnis, mich in diese fremdartige und fesselnde Welt zu vertiefen, die Überfülle, den unvorstellbaren Reichtum einfach auf mich wirken zu lassen.

Die Halluzinationen waren zunächst rein elementar: Strahlen, Strahlenbüschel, Regen, Ringe, Strudel, Schleifen, Sprays, Wolken usw. usw. Es traten dann auch höher organisierte Erscheinungen auf: Bogen, Bogenreihen, Dächermeere, Wüstenlandschaften, Terrassen, flackernde Feuer, Sternenhimmel von ungeahnter Pracht. Zwischen diesen höher organisierten Gebilden fanden sich stets auch clie anfänglich vorherrschenden elementaren. Im einzelnen erinnere ich mich an folgende Bilder:

- Eine Flucht hochragender gotischer Bogen, ein unendliches Chor, ohne daß ich die unteren Partien mitgesehen hätte.

— Eine Wolkenkratzerlandschaft, wie sie aus Bildern der New Yorker Hafeneinfahrt bekannt ist: hinter- und nebeneinandergestaffelte Häusertürme mit unzähligen Fensterreihen. Wiederum fehlte die Basis.

- Ein System von Masten und Seilen, das mich an eine am Vortag gesehene Gemälde-Reproduktion (Inneres eines Zirkuszelts) erinnerte.

- Ein Abendhimmel von einem unvorstellbaren zarten Blau über den dunklen Dächern einer spanischen Stadt. Ich verspürte ein seltsames Erwartungsgefühl, war freudig und ausgesprochen erlebnisbereit. Mit einem Mal leuchteten die Gestirne auf, häuften sich und wurden zu einem dichten Sternen- und Funkenregen, der auf mich zuströmte. Stadt und Himmel waren verschwunden.

- Ich war in einem Garten, sah durch ein dunkles Gitterwerk leuchtende rote, gelbe und grüne Lichter fallen, ein unbeschreiblich beglückendes Erleben.

Wesentlich war, daß alle Bilder aus unabsehbar zahlreichen Wiederholungen derselben Elemente bestanden: viele Funken, viele Kreise, viele Bogen, viele Fenster, viele Feuer, usw. Nie sah ich Einzelstehendes, sondern stets dasselbe unendlich oft wiederholt.

Ich fühlte mich eins mit allen Romantikern und Phantastikern, dachte an E. T. A. Hoffmann, sah den Malstrom Poes, obschon mir diese Schilderung seinerzeit übertrieben vorgekommen war. Oft schien ich auf Höhepunkten künstlerischen Erlebens zu stehen, schwelgte in den Farben des Isenheimer Altars, spürte das Beglückende und Erhebende einer künstlerischen Schau. Wiederholt muß ich auch von moderner Kunst gesprochen haben; ich dachte an abstrakte Bilder, die ich mit einem Mal zu begreifen schien. Dann wieder waren die Eindrücke von einer extremen Kitschigkeit, sowohl was die Formen wie die Farbenkombinationen anging. Die gräßlichsten billig-modernen Lampenverzierungen und Sofakissen kamen mir in den Sinn. Der Gedankengang war beschleunigt. Er schien mir aber nicht so rasch zu sein, daß der Versuchsleiter nicht hätte folgen können. Rein intellektuell wußte ich freilich, daß ich ihn hetzte. Anfänglich hatte ich rasch Bezeichnungen zur Hand. Mit zunehmender Beschleunigung der Bewegung wurde es unmöglich, einen Gedanken zu Ende zu denken. Ich muß viele Sätze nur angefangen haben . . .

Wenn ich mich zu bestimmten Vorstellungen zwingen wollte, mißlang der Versuch meist. Es stellten sich sogar in gewissem Sinne gegenteilige Bilder ein: statt einer Kirche Wolkenkratzer, statt einem Gebirge eine weite Wüste.

Die verflossene Zeit glaube ich richtig geschätzt zu haben. Ich war nicht sehr kritisch dabei, da mich diese Frage gar nicht interessierte.

Die Stimmung war bewußt euphorisch. Ich genoß den Zustand, war heiter und am Erleben sehr aktiv beteiligt. Zeitweise öffnete ich die Augen. Das schwache Rotlicht wirkte viel mehr als sonst geheimnisvoll. Der emsig schreibende Versuchsleiter schien mir sehr fern zu sein. Oft hatte ich eigenartige körperliche Sensationen. So glaubte ich, meine Hände lägen auf irgend einem Leib; ich war aber nicht sicher, daß es der meine sei.

Nach Abbruch dieses ersten Dunkelversuches ging ich etwas im Zimmer umher, war unsicher auf den Beinen und fühlte mich wieder'weniger gut. Ich fröstelte und war dankbar, daß mich der Versuchsleiter in eine Decke hüllte. Ich kam mir dabei verwahrlost, unrasiert und ungewaschen vor. Das Zimmer wirkte fremd und weit. Später hockte ich auf dem hohen Stuhl, dachte fortwährend, ich säße da wie ein Vogel auf der Stange.

Der Versuchsleiter betonte mein schlechtes Aussehen. Er wirkte merkwürdig zierlich. Ich selber hatte kleine feingebildete Hände. Als ich sie wusch, geschah das weit weg von mir, irgendwo unten rechts. Es war fraglich, aber völlig unwesentlich, ob es meine Hände seien.

In der mir wohlbekannten Landschaft schien allerlei verändert zu sein. Neben dem Halluzinierten konnte ich zunächst auch das Wirkliche sehen. Später war dies nicht mehr möglich, obschon ich immer noch wußte, daß die Wirklichkeit anders war. . .

Eine Kaserne und die links davor gelegene Garage wurde plötzlich zur zerschossenen Ruinenlandschaft. Ich sah Mauertrümmer und ragende Balken, ausgelöst zweifellos durch die Erinnerung an das Kriegsgeschehen in dieser Gegend.

Im gleichmäßigen, weitgedehnten Acker sah ich anhaltend Figuren, die ich zu zeichnen versuchte, ohne über den gröbsten Anfang hinauszukommen. Es war eine ungemein reiche und plastische Ornamentik in ständiger Verwandlung, in ständigem Fluß. Ich fühlte mich an alle möglichen fremden Kulturen erinnert, sah mexikanische, indische Motive. Zwischen einem Gitterwerk von Bälkchen und Ranken erschienen kleine Fratzen, Götzen, Masken, unter die sich merkwürdigerweise plötzlich „Manöggel" (Strichmännchen) nach Kinderart mengten. Das Tempo war gegenüber dem Dunkelversuch verlangsamt.

Die Euphorie hatte sich nun verloren; ich wurde depressiv, was sich besonders auch in einem zweiten Dunkelversuch zeigte. Während sich im ersten Dunkelversuch die Halluzinationen mit großer Geschwindigkeit in hellen und leuchtenden Farben abgelöst hatten, herrschten nun Blau, Violett, dunkles Grün vor. Die Bewegung der größeren Gebilde war langsamer, weicher, ruhiger, wenn auch diese selbst aus feinrieselnden „Elementarpunkten" zusammengesetzt waren, die rasch kreisten und strömten. Während im ersten Dunkelversuch die Bewegung häufig auf mich zu drängte, führte sie nun oft deutlich von mir weg, in die Bildmitte hinein, wo sich eine ansaugende Öffnung abzeichnete. Ich sah Grotten mit phantastischen Auswaschungen und Tropfsteinen, erinnerte mich an das Kinderbuch „Im Wunderreiche des Bergkönigs". Es wölbten sich ruhige Bogensysteme. Rechterhand tauchte eine Reihe von Shed-Dächern auf; ich dachte an ein abendliches Heimreiten im Militärdienst. Bezeichnenderweise handelte es sich um ein Heimreiten. Es war nichts da von Aufbruch oder Abenteuerlust. Ich fühlte mich geborgen, umhüllt von Mütterlichkeit, war in der Ruhe. Die Halluzinationen waren nicht mehr erregend, sondern milde und dämpfend. Etwas später hatte ich das Gefühl, selber mütterliche Kraft zu besitzen ; ich verspürte ein Hinneigen, ein Helfenwollen und machte nun in ausgesprochen sentimentaler und kitschiger Weise in ärztlicher Ethik. Ich sah das ein und konnte abstellen.

Aber die depressive Stimmung blieb. Ich versuchte wiederholt, helle und freudige Bilder zu sehen. Es war ausgeschlossen; es kamen nur dunkle, blaue und grüne Gebilde. So wollte ich mir helle Feuer vorstellen wie im ersten Dunkelversuch. Ich sah wohl Feuer; doch waren es Opferfeuer auf der nächtlichen Zinne einer Burg in weiter herbstlicher Heide. Einmal gelang es mir, einen hellen aufsteigenden Funkenschwarm zu erblicken; aber in halber Höhe verwandelte er sich in eine ruhig ziehende Gruppe von dunklen Pfauenaugen. Ich war während des Versuches sehr beeindruckt, daß Stimmung und Art der Halluzinationen so geschlossen und undurchbrechbar zusammenklangen.

Während des zweiten Dunkelversuches beobachtete ich, daß zufällige und dann auch vom Versuchsleiter absichtlich ausgelöste Geräusche synchrone Veränderungen der optischen Eindrücke ergaben (Synästhesien). Ebenso ergab Druck auf die Bulbi (Augäpfel) Veränderungen des Gesehenen.

Gegen Ende des zweiten Dunkelversuches achtete ich auf sexuelle Vorstellungen, die aber völlig fehlten. Ich konnte keinerlei sexuelle Wünsche empfinden. Ich wollte mir ein Frauenbild vorstellen; es trat nur eine modern-primitive abstrahierende Plastik auf, die gänzlich unerotisch wirkte und deren Formen sofort von bewegten Kreisen und Schlingen übernommen und abgelöst wurden.

Nach Abbruch des zweiten Dunkelversuches fühlte ich mich benommen und körperlich unwohl. Ich schwitzte, war abgeschlagen. Ich war dankbar, daß ich zum Mittagessen nicht in die Kantine gehen mußte. Die Laborantin, die uns das Essen brachte, schien mir klein und fern zu sein, von derselben merkwürdigen Zierlichkeit wie der Versuchsleiter . . .

Etwa um 15 h fühlte ich mich besser, so daß der Versuchsleiter seiner Arbeit nachgehen konnte. Ich war -mit Mühe - in der Lage, das Protokoll selber zu führen. Ich saß am Tisch, wollte lesen, konnte mich aber nicht konzentrieren. Ich kam mir einmal vor wie eine Gestalt auf surrealistischen Bildern, deren Glieder mit dem Körper nicht in Verbindung stehen, sondern nur daneben gemalt sind . . .

Ich war depressiv und dachte interessehalber an die Möglichkeit der Suizidalität. Mit einigem Erschrecken erkannte ich, daß solche Gedanken mir merkwürdig vertraut waren. Es schien mir eigenartig selbstverständlich zu sein, wenn ein Depressiver Selbstmord begeht .. .

Auf dem Heimweg und am Abend war ich wieder euphorisch und übervoll von den Erlebnissen des Morgens. Ich hatte ungeahnt Eindrückliches erlebt. Es schien mir, als wäre ein großer Lebensabschnitt auf wenige Stunden zusammengedrängt gewesen. Es lockte mich, den Versuch zu wiederholen.

Anderntags war ich in Denken und Tun fahrig, hatte große Mühe, mich zu konzentrieren, war gleichgültig ... Der fahrige, leicht traumhafte Zustand hielt nachmittags an. Bei einer einfachen Aufgabe hatte ich große Mühe, einigermaßen geordnet zu referieren. Zunehmend allgemeine Müdigkeit, zunehmend das Gefühl, daß ich wieder mehr in der Wirklichkeit stehe.

Am zweiten Tag nach dem Versuch unentschlossenes Wesen . .. Leichte, aber deutliche Depression während der folgenden Woche, die natürlich nur noch mittelbar auf das LSD zu beziehen war.  - W. A. Stoll, nach: Albert Hofmann, LSD - Mein Sorgenkind. Frankfurt am Main 1982 (zuerst 1979)

Dunkel Versuch

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