ummschlau   Doktor Cottard wußte niemals mit Sicherheit, in welchem Tone er jemandem antworten sollte, ob sein Gesprächspartner scherzte, oder ob das, was er sagte, womöglich ernst gemeint war. Auf alle Fälle fügte er dem sonstigen Ausdruck seines Gesichts ein bedingtes Lächeln hinzu, dessen abwartende Schläue ihn von jedem Vorwurf der Naivität freihalten mußte, falls die Äußerung, die man ihm gegenüber getan hatte, ironisch gemeint gewesen war. Aber um auch der umgekehrten Möglichkeit zu begegnen, wagte er niemals ein eindeutiges Lächeln auf seinem Antlitz erscheinen zu lassen; man traf infolgedessen immer bei ihm auf einen Ausdruck der Unsicherheit, in dem die unausgesprochene Frage lag: ›Ist das jetzt ernst gemeint?‹ Auch bei seinem Verhalten auf der Straße schwebte er stets in der gleichen Ungewißheit, sogar ganz allgemein im Leben überhaupt, so daß man ihn ebenso wie in einem Salon auch den Vorübergehenden, den Wagen, allen Ereignissen ein zweifelndes Lächeln entgegensetzen sah, das seinem Betragen von vornherein alles Unziemliche benahm, da es, selbst wenn es für den vorliegenden Fall nicht angebracht sein sollte, bewies, daß er es wußte und nur in unernster Absicht nebenher aufgesetzt hatte. Bei allen Gelegenheiten jedoch, wo eine freimütige Frage erlaubt zu sein schien, bemühte sich der Doktor, seinen Zweifel auf das Mindestmaß zu reduzieren und seine Bildung zu vervollkommnen.

In bezug auf Redensarten zum Beispiel war er unermüdlich auf Belehrung erpicht, denn da er oft hinter ihnen einen eindeutigeren Sinn vermutete, als sie eigentlich haben, hätte er gern genau gewußt, was mit denen gemeint war, die er am häufigsten hörte: die ›Beauté du diable‹ etwa, oder ›blaues Blut‹ haben, ›le quart d'heure de Rabelais‹, ›Arbiter elegantiarum‹, jemandem ›carte blanche‹ erteilen und andere ähnliche, und bei welchen Gelegenheiten er sie selbst in seine Reden einflechten könnte. Paßten sie gerade nicht, so brachte er Wortspiele an, die er aufgelesen hatte. Sprach man die Namen neuer Personen vor ihm aus, so begnügte er sich damit, sie im Frageton zu wiederholen und dadurch Erklärungen zu erlangen, um die er somit dennoch nicht ausdrücklich gebeten hatte.  - Marcel Proust, In Swanns Welt (Auf der Suche nach der verlorenen Zeit). Frankfurt am Main 1965 (zuerst 1913 ff.)

 

Dummheit

 

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