ressur
Es ist das Tier mit dem großen Schweif, einem viele Meter langen,
fuchsartigen Schweif. Gern bekäme ich den Schweif einmal in die Hand, aber
es ist unmöglich, immerfort ist das Tier in Bewegung, immerfort wird der
Schweif herumgeworfen. Das Tier ist känguruhartig, aber uncharakteristisch
im fast menschlich flachen, kleinen, ovalen Gesicht, nur seine Zähne
haben Ausdruckskraft, ob es sie nun verbirgt oder fletscht. Manchmal habe
ich das Gefühl, daß mich das Tier dressieren will; was hätte es sonst für
einen Zweck, mir den Schwanz zu entziehn, wenn
ich nach ihm greife, dann wieder ruhig zu warten, bis es mich wieder verlockt,
und dann von neuem weiterzuspringen. - Franz Kafka:
Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande, nach bo
Dressur (2)
- (
tomk
)
Dressur (3)
Diese Prügelszene besitzt die Unmittelbarkeit einer sich unlängst zugetragenen
Begebenheit. Obgleich es sich um ein spätes Werk, vermutlich aus den Jahren
1865—70 handelt, nimmt es ein Thema des Sommers 1852 erneut auf, als Daumier
sich mit dem unpopulären Vorschlag der Zeitungen beschäftigte, die Pariser Hunde
als Stadtplage abzuschaffen. - Honoré Daumier, Zeichnungen. Ausstellungskatalog,
Hg. Colta Ives, Margret Stuffmann, Martin Sonnabend. Stuttgart 1992
Dressur (4)
Dressur (5)
Dressur
(6)
Liebt das ehemalige Tier der Wildnis und jetzige Tier der Manege seinen
Dompteur? Es kann möglich sein, doch es ist nicht
obligat. Der eine bedarf des anderen dringend. Der eine braucht den anderen,
um sich mithilfe von dessen Kunststücken im Scheinwerferlicht und zum Schinderassa
der Musik aufzublasen wie ein Ochsenfrosch, das andere
braucht den einen, um einen Fixpunkt im allgemeinen Chaos, das einen blendet,
zu besitzen. Das Tier muß wissen, wo oben und unten ist, sonst steht es plötzlich
auf dem Kopf. Ohne seinen Trainer wäre das Tier gezwungen, hilflos im freien
Fall herabzusausen oder im Raum herumzudriften und ohne Ansehen des Gegenstands
alles zu zerbeißen, zerkratzen und aufzuessen, was ihm über den Weg läuft. So
aber ist immer einer da, der ihm sagt, ob etwas genießbar ist. Manchmal wird
dem Tier das Genußmittel auch noch vorgekaut oder stückweise vorgelegt. Die
oft zermürbende Nahrungssuche fällt vollends weg. Und mit ihr das Abenteuer
im Dschungel. Denn dort weiß der Leopard noch, was gut für ; ihn ist, und nimmt
es sich, ob Antilope oder weißen Jäger, der unvorsichtig war. Das Tier führt
jetzt tagsüber ein Leben der Beschaulichkeit und besinnt sich auf seine Kunststücke,
die es am Abend auszuführen hat. Es springt dann durch brennende Reifen, steigt
auf Taburette, schließt Kiefer knackend um Hälse,
ohne sie zu zerfetzen, macht Tanzschritte im Takt mit anderen Tieren oder allein,
mit Tieren, denen es auf freier Wildbahn ohne Gegenverkehr an die Gurgel führe,
oder vor denen es retirieren würde, wenn noch möglich. Das Tier tragt affige
Verkleidungen auf Kopf oder Rücken. Man hat manche schon auf Pferden mit ledernen
Schonbezügen reiten gesehen! Und sein Herr, der Dompteur, knallt mit der Peitsche!
Er lobt oder straft, je nachdem. Je nachdem, wie das Tier es verdient hat. Aber
der gefinkeltste Dompteur hat noch nicht die Idee gehabt, einen Leoparden oder
eine Löwin mit einem Geigenkasten auf den Weg zu senden. Der Bär auf dem Fahrrad
ist schon das Äußerste gewesen, was ein Mensch sich noch vorzustellen vermag.
- Elfriede Jelinek, Die Klavierspielerin. Reinbek bei Hamburg 1989
Dressur (7, oberflächliche) Bevor das Leben im Zuge seiner ›Evolution‹ an Land stieg und sich sichtbar machte, hatte es die schwierigsten Übergänge und Sprünge seiner riskanten Anfänge in den Meeren und Ozeanen unter der Oberfläche optischer Auffälligkeit hinter sich. Gelegentlich ist es dorthin zurückgekehrt. Wie die großen Meeressäuger es taten — zu ihrem späten Unheil. Denn nur im Meer konnten sie das Gewicht an Fleisch und Tran erreichen, das sie für die Massenernährung des Menschen — Stichwort ›Margarine‹ — unwiderstehlich bis zur Beinahe-Ausrottung machte.
Selten nimmt so etwas den Charakter einer Demonstration an.
Die Moskauer »Prawda« mochte ihre neue Freizügigkeit ein wenig
genießen, als sie im Mai 1987 von einem Staatszirkus berichtete,
der etwas Ungewohntes versuchen und schlichtweg für sich Reklame
machen wollte. Am Schwarzmeerstrand von Sotschi ließ der Dompteur
seine Seelöwenschar für die Kunststücke werben, die sie in der
Vorstellung zeigen würden. Der Effekt gab ihm recht. Viele Leute
liefen zusammen, und es wäre eine volle Zirkuskasse zu erwarten
gewesen, hätten sich nicht die Seelöwen von dieser Zumutung abgewandt,
um zum Meer hin und in diesem auf Nimmerwiedersehen
zu entschwinden. -
Hans Blumenberg, Löwen. Frankfurt am Main 2001
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