reiradgeräusch Das Hinaustreten auf den Kirchplatz: Die Geräusche veränderten sich. Die Geräusche der Schritte, der Armbewegungen, des Windes, des hin-und herschlagenden Kreuzes vor dem Bauch der Schwestern. Die Geräusche flogen hoch bis zum Mond. Vom Mond, von den Sternen herunter sickerte das Geräusch eines fahrenden Dreirads. - Seid ruhig. Bleibt zusammen. Betet. Redet nicht. Die feindlichen Flugzeuge hören eure Gebete nicht. Gott hört sie ...
Detlev sah die unausgesprochenen Worte der Gebete hochsteigen - wie das Geheul der Sirenen - den Kirchturm entlang bis hinauf zu den Flugzeugen, die durch die Gebete hindurchflögen, ohne sie zu beachten. Die Gebete würden von den Propellern und den Tragflächen zerstückt, aber sie setzten sich hinter den Flugzeugen wieder zusammen und flögen höher, bis zum Mond und am Mond vorbei und flögen in das große Ohr des Heben Gottes, wo die Sterne festsaßen wie die Ohrringe der Großmutter. Detlev sah nach oben. Et sah den schwarzen Himmel mit den Sternen, die hin und her zitterten.
Er sah den Mond, der, wie ein Zitroneneis aus der Eiszange in der Konditorei,
am Himmel vorwärts rollte. Detlev hörte das dünne Geräusch des Dreirads, des
feindlichen Flugzeugs hoch oben. Er sah kein großes Ohr. Die Waisenhauszöglinge
traten in den Schatten der Stadtpfarrkirche, den der Mond auf das Pflaster warf.
Schwester Silissa öffnete die Tür des Kirchturms. Schwester Appia ging voran.
Einzeln gingen die Mädchen und Jungen hinter Schwester Appia her. Es roch nach
der Laube des Großvaters, nach Kleie, die zwischen die warmen Kartoffelschalen
für die Hühner gemischt wurde, nach Flit, nach Tulpenzwiebeln. Es roch nach
dem Komposthaufen, wo der Steintopf aus dem Gartenklosett ausgeleert wurde,
wo Torf, Zitronenschalen, Pisse, Federn und Hahnenfüße durcheinandergemengt
waren. - Hubert Fichte, Das Waisenhaus. Berlin 1985 (zuerst
1965)
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