- Hans Henny Jahnn, Der gehorsame Kuckuck. In: Lesebuch.
Deutsche Literatur zwischen 1945 und 1969. Hg. Klaus Wagenbach. Berlin
1980 (zuerst 1952)
Dreier, flotter (2)
Dreier, flotter (3) Vor fünfzig Jahren haben
dort drei Witwen gewohnt,
eine Mutter mit ihren beiden Töchtern.
Die Mutter war neunzig Jahre alt und gebrechlich. Die älteste Tochter war
siebenundsechzig und die andere gut sechzig. Drei alte wunderliche Weiber,
die so geizig waren, daß sie nichts in der Gegend
kauften und nur von dem lebten, was ihr Gemüsegarten und ihr Hühnerhof
hergaben. Die Läden wurden nie geöffnet. Wochenlang sah man keine von ihnen.
Die ältere Tochter hat sich das Bein gebrochen, und man hat es erst erfahren,
als sie tot war. Eine drollige Geschichte. Schon lange hörte man nicht
mehr das geringste Geräusch aus dem Haus der
drei Witwen. Da die Leute zu tuscheln begannen, beschloß der Bürgermeister
von Avrainville einmal hinzugehen. Er fand alle drei tot. Sie waren schon
vor mindestens zehn Tagen gestorben! Man hat mir gesagt, die Zeitungen
hätten damals viel darüber berichtet. Ein Lehrer
aus der Gegend, dem diese mysteriöse Geschichte keine Ruhe ließ, hat sogar
eine Broschüre geschrieben, in der er behauptet, die Tochter mit dem gebrochenen
Bein habe aus Haß gegen ihre noch muntere Schwester
diese vergiftet und zugleich die Mutter. Und sie selber muß dann neben
den beiden Leichen gestorben
sein, da sie sich nicht bewegen und sich nichts zu essen holen konnte.
- Georges Simenon, Maigret und der Mann von Welt. München 1977 (Heyne,
Simenon-Kriminalromane 89, zuerst 1931)
Dreier, flotter (4) »Er hatte mir versprochen, sich gleich nach der Rückkehr pensionieren zu lassen und mich zu heiraten. Das war ein hübsches Leben für mich auf dem Schiff! Den ganzen Tag war ich in einer Kajüte eingesperrt, in der es nach Fisch stank. Sobald jemand hereinkam, mußte ich mich unter dem Bett verstecken. Wir waren kaum auf offener See, da bereute Fallut schon, mich mitgenommen zu haben. Ich habe noch nie einen Mann gesehen, der solche Angstzustände hatte wie er. Zehnmal am Tage vergewisserte er sich, ob die Tür fest verschlossen war. Wenn ich etwas sagte, befahl er mir, zu schweigen, aus Angst, daß man mich hörte. Er war mürrisch und verkrampft. Manchmal blickte er mich minutenlang an, als wollte er sich meiner entledigen, indem er mich über Bord warf.«
Sie sprach mit einer schrillen Stimme, gestikulierte dabei heftig. »Und außerdem wurde er immer eifersüchtiger. Er fragte mich nach meiner Vergangenheit. Er versuchte, herauszubekommen ... Drei Tage lang sagte er kein Wort zu mir und belauerte mich wie eine Feindin. Dann plötzlich packte ihn wieder die Leidenschaft. Es hat Augenblicke gegeben, da hatte ich Angst vor ihm.«
»Welche Männer der Besatzung haben Sie an Bord gesehen?«
»Es war die vierte Nacht. Ich wollte auf Deck Luft schöpfen. Ich hatte es satt, eingesperrt zu sein. Fallut hat sich vergewissert, daß niemand dort war. Er hat mir nur erlaubt, ein kleines Stück auf und ab zu gehen. Für einen Augenblick mußte er auf die Kommandobrücke, und da ist der Funker gekommen und hat mit mir gesprochen. Er war ganz eingeschüchtert, aber sehr erregt. Am nächsten Tage ist es ihm gelungen, in meine Kajüte einzudringen.« »Hat Fallut ihn gesehen?« »Ich glaube nicht. Er hat mir nichts gesagt.« »Sind Sie Le Clinches Geliebte geworden?« Sie antwortete nicht. Gaston Buzier grinste. »Gib es doch zu«, sagte er mit böser Stimme. »Bin ich denn nicht frei? Du hast dich in der Zeit doch mit vielen Frauen amüsiert. Wie war das zum Beispiel mit der Kleinen in der Villa? Und das Foto. das ich in deiner Tasche gefunden habe!« Maigret verzog keine Miene.
»Ich habe Sie gefragt, ob Sie die Geliebte des Funkers geworden sind.«
»Und ich antworte Ihnen: Na wenn schon.«
Sie reizte ihn mit einem lüsternen Lächeln. Sie wußte, daß sie begehrenswert war.
»Hat der Erste Maschmist Sie auch gesehen?«
»Was hat er Ihnen erzählt?«
»Nichts. Ich fasse zusammen: Der Kapitän hielt Sie in seiner Kajüte versteckt. Abwechselnd suchten Pierre Le Clinche und der Erste Maschinist Sie dort heimlich auf. Hat Fallut etwas davon gemerkt?«
»Nein.«
»Trotzdem hatte er Verdacht geschöpft, denn er strich beständig um Sie herum und ließ Sie nur allein, wenn das unbedingt notwendig war.«
»Woher wissen Sie das?«
»Sprach er immer noch davon, Sie zu heiraten?«
»Ich weiß es nicht...«
Und Maigret sah wieder den Fischdampfer vor sich, die im Kesselraum eingesperrten Heizer, die im Vorderdeck zusammengepferchten Männer, die Kajüte des Funkers und die des Kapitäns im Heck, mit dem auf Holzklötzen stehenden Bett.
Die Fahrt hatte drei Monate gedauert!
Und drei Männer waren während dieser Zeit um die Kajüte herumgestrichen, in der diese Frau eingesperrt war.
»Eine schöne Dummheit habe ich gemacht«, sagte sie. »Ich schwöre Ihnen,
wenn ich mich noch einmal ... Man sollte schüchternen Männern mißtrauen,
die vom Heiraten reden.« - Georges Simenon, Maigret und das Verbrechen
an Bord. München 1967 (Heyne, Simenon-Kriminalromane 96, zuerst 1936)
Dreier, flotter (5) Was G ... betrifft, so frage ich mich, ob es für ihn nicht eine Erleichterung bedeutet, wenn ich weggehe. Er weiß vom ersten Tage unserer Ehe an, daß es nichts Gemeinsames zwischen uns gibt. Ich habe mich nie an seine Haut, an seinen Geruch gewöhnen können. Verstehst Du jetzt, warum wir kein gemeinsames Schlafzimmer gehabt haben, was Dich anfangs so sehr wunderte?
Nach zweieinhalb Jahren ist es noch genauso, als ob ich ihn gerade auf der Straße oder in der Metro kennengelernt hätte, und mich durchfährt jedesmal derselbe Schreck, wenn er es sich einfallen läßt, zu mir zu kommen. Glücklicherweise geschieht das nur selten. Unter uns gesagt, glaube ich sogar, daß er nur kommt, um mir eine Freude zu machen, oder weil er meint, es sei seine Pflicht.
Vielleicht sagt seine Mutter es ihm. Das könnte sein. Lach nicht. Ich
weiß nicht, wie das bei Deinem Mann ist, aber bei G ... ist es so, daß
er das verlegene Gesicht eines Schuljungen macht, dem man fünf Seiten zum
Abschreiben gibt. Verstehst Du mich? Ich habe mich oft gefragt, ob er mit
seiner ersten Frau genauso gewesen ist. Das könnte sein. Sicherlich wäre
er mit jeder Beliebigen nicht anders. Diese Leute, siehst Du, ich spreche
von Mutter und Sohn,
bilden eine Welt für sich allein und brauchen niemand anders. - Georges
Simenon, Maigret und die Bohnenstange. München 1975 (Heyne Simenon-Kriminalromane
15, zuerst 1951)
Dreier, flotter (6) Das Mädchen heißt Lenore. Der Neger nennt sich "Der Prophet". Lenore ist eine Kreatur, die - bevor sie in das alte Haus einzog - von Couch zu Couch wanderte und in den Bars und Cafés an den Strandvierteln von San Francisco lebte. Sie badet nie und trägt schlechtsitzende, altmodische, schmuddlige Kleider, die sie auf der Straße aufgelesen hat. Sie lebt in sich zurückgezogen, hat keine Freunde, neigt dazu, blicklos vor sich hinzustarren und geht vornübergebeugt, den Kopf auf die Seite. Alle kennen sie, die Zuhälter und Huren, die Penner und Krüppel und alten Damen. Hin und wieder bezahlen sie ihr ein Essen oder schenken ihr etwas, das sie selbst nicht mehr wollen. Und jeder akzeptiert sie, ohne sie zu werten, denn sie ist nicht zu werten, sie ist aller Kind — ohne Habsucht, ohne Scham, ohne Zielstrebigkeit — Symbol der Unschuld. Der Neger, "Der Prophet", ist voll Haß und Wahnvorstellungen, bösartig und aufbrausend, ein Zuhälter weißer Huren. Früher lebte er mit einer von ihnen zusammen, aber sie verließ ihn, und jetzt treibt er sich unter den Abgewrackten, Heruntergekommenen und Zerrütteten in den Bars, Tavernen und Kaffeehäusem herum und nimmt mit, was kommt. Er tragt ein Handtuch um den Kopf gewunden — er ist "Der Prophet", aber das weiß niemand. Er ist ein Riese, zwei Meter groß, lärmend, gewaltig, eine unbändige Mißgeburt, die Gewalttätigkeit ausstrahlt, er ist größenwahnsinnig und von dem Gedanken besessen, daß alle weißen Frauen sich danach sehnen, mit einem Schwarzen ins Bett zu gehen.
Diese drei Gestalten benutzt Leslie Garrett, um die Geschichte The Beasts zu erzählen, eine Geschichte, die so furchtbar ist, daß sich ihre Wirklichkeit, ihr Grauen im stetigen Fluß der gutgeschriebenen Erzählung zu verflüchtigen scheint. Aber bleiben wir zunächst bei den Hauptfiguren. Die Persönlichkeitsstruktur von Farley Grimm, Lenore und dem "Propheten", sowie die Natur ihrer Beziehungen zueinander, lassen sich vielleicht durch eine schematische Darstellung verdeutlichen.
Alle drei sind geistesgestört, jeder ist auf seine Weise verrucht. Lenore
ist noch nicht einmal zwanzig, und schon hat das Leben für sie keinen Sinn mehr.
Sie ist statisch, ohne Gefühl ffir die Zeit, für Vergangenheit, Zukunft und
Gegenwart. Sie war mit mehreren alten Männern, einer Lesbierin und einem sadistischen
Dichter zusammen, hatte daneben ein paar flüchtige
Liebschaften und ist von dem riesigen Neger vergewaltigt worden. Ein junger
Alkoholiker, der manches mit ihr gemeinsam hatte, liebte sie zärtlich, aber
als er im Bett mit ihr versagte, verschwand er, vielleicht von einem seiner
Verehrer mitgenommen. Lenores unvermeidliche Reaktion auf alles, sei es gut
oder schlecht, ist ein Achselzucken. Sie hat die Stimmen
und Eigenarten aller Menschen, die sie jemals kannte, im Gedächtnis behalten
und kann sie genau imitieren. Nachts redet sie mit all diesen Stimmen
zu sich selbst, mit der Stimme der Lesbierin, des Jungen, der kahlköpfigen alten
Männer und natürlich auch des Propheten. Sie hat auf Liebe verzichtet, sie weiß
nicht einmal mehr, was Liebe ist, falls sie es jemals wußte, und ihr fehlt jedes
sexuelle Empfinden, jedes Gefühl für Weiblichkeit. Dieses Mädchen wählt Farley.
- Calvin C. Hernton, Anatomie der "Tiere". In: Acid. Neue amerikanische Szene. Hg. Rolf
Dieter Brinkmann, Ralf-Rainer Rygulla. Frankfurt am Main 1969
Dreier, flotter (7)
Dreier, flotter (8) Ich haue damals eine Zeitlang drei
Wohnungen. In einer lebte ich selbst, möbliert, mit Beköstigung und Bedienung,
wo sich damals auch Marie Lebädkina befand, heute meine legitime Frau. Die anderen
Wohnungen mietete ich damals monatlich für meine Abenteuer: in einer empfing
ich eine in mich verliebte Dame, in der anderen ihre
Zofe. Ich war eine Zeitlang sehr mit dem Plan beschäftigt, die beiden so anzuführen,
daß sich Herrin und Zofe bei mir treffen sollten. Ich kannte sie beide und versprach
mir von dieser Überraschung viel Spaß. - Fjodor M. Dostojewski, Die Dämonen.
Darmstadt 1979 (zuerst 1871/72)
Dreier, flotter (9)
- (
forn
)
Dreier, flotter (10) Matern
starrt düster in den vollen Kinderwagen. Inge Sawatzki verkürzt die Zeit üblicher
stummer Betrachtung: «Ein hübsches Kind, oder? Du siehst nicht gut aus. Kann
sicher bald laufen. Hab keine Angst. Ich will nichts von Dir. Aber Jochen würde
sich freuen. Mitgenommen siehst Du aus. Wirklich, wir mögen Dich beide. Außerdem
sorgt er rührend für das Kind. War eine leichte Geburt. Wir haben Glück gehabt.
Sollte eigentlich im Krebs, ist aber ein Löwemädchen geworden, Aszendent Waage.
Die haben es später leicht: meistens hübsch, häuslich, anpassungsfähig, vielseitig,
anhänglich und trotzdem willensstark. Wir wohnen jetzt drüben in Mülheim. Wenn
Du willst, können wir das Bötchen nehmen: Heidewitzka, Herr Kapitän. Du hast
wirklich Ruhe und Pflege nötig. Jochen arbeitet in Leverkusen. Ich hab ihm ja
abgeraten, aber er will partout wieder politisieren und schwört auf Reimann.
Mein Gott, siehst Du müde aus. Wir können auch die Bahn nehmen, aber ich fahr
gern mit dem Bötchen. Na, Jochen muß wissen, was er tut. Er sagt, man muß Farbe
bekennen. Du warst ja auch mal bei denen. Kennt Ihr Euch eigentlich von da her
oder erst äußern SA-Sturm? Du sagst ja gar nichts. Ich will wirklich nichts
von Dir. Wenn Du magst, päppeln wir Dich paar Wochen. Du mußt Ruhe haben. So
etwas wie ein Zuhause. Wir haben zweieinhalb Zimmer. Du kriegst die Kammer unterm
Dach ganz für Dich. Ich laß Dich in Frieden, bestimmt. Ich liebe Dich. Aber
auf 'ne ganz ruhige Art. Eben hat Dich Walli angelacht. Haste gesehn? Jetzt
wieder. Mag der Hund Kinder? Man sagt ja, Schäferhunde lieben Kinder. Ich liebe
Dich und den Hund. Und damals wollt ich ihn verkaufen, so dumm war ich damals.
Du mußt was tun gegen Haarausfall.» - Günter Grass, Hundejahre. Reinbek bei Hamburg 1968 (zuerst 1963)
Dreier, flotter (11)
Zwischen Tante Hanka und Onkel Štepàn hatte sich der junge
Hejsek geschlichen.
Die Verwandten bedauerten den Onkel
und ziehen Tante Hanka zügelloser Lüsternheit.
Die Tante jedoch machte sich nichts aus dem Gerede. Warf ihr jemand das
Dreiecksverhältnis direkt vor,
lachte Tante Hanka nur und sagte, sie sei
eigentlich ein Fünfecksverhältnis gewöhnt.
- (step
)
Dreier, flotter (12) Von der
Art und Weise, wie sie sich vermehren, kann ich nur wenig berichten, das Wenige
aber ist bezeichnend. Ihre Fortpflanzung vollzieht
sich viermal im Jahr, jeweils kurz vor der Tag- und Nachtgleiche sowie vor der
Sonnenwende, und nur in sehr klaren Nächten. Die Xipehuz
vereinigen sich in Gruppen zu dritt, und diese Gruppen
bilden nach und nach eine Einheit, ein seltsames Amalgam von sehr länglicher
Ellipsenform. So verharren sie die ganze Nacht und den ganzen Morgen hindurch,
bis die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hat. Wenn sie sich trennen, sieht
man undeutliche, dampfartige, riesige Formen aufsteigen.
- J. H. Rosny Ainé, Die Xipehuz. In: Polaris
4, Hg. Franz Rottensteiner. Frankfurt am Main 1978
Dreier, flotter (13) Mit ihrer
Liebe zu mir versklavten sie mich, ebenso wie mit ihrer Liebe zueinander und
mit ihrer Eifersucht. Eben noch küßten sie sich und weinten hingebungsvoll,
und plötzlich droschen sie aufeinander ein, rissen sich die Haare aus und fluchten
mit Worten, die Sie nicht einmal in der Unterwelt hören würden. Nie in meinem
Leben hatte ich solche Hysterie erlebt und solches Geschrei gehört. Alle paar
Tage versuchte eine der Schwestern, oder beide, sich das Leben zu nehmen. Einen
Augenblick lang war es ruhig. Da saßen wir zu dritt beim Essen oder sprachen
über ein Buch oder ein Bild - ganz plötzlich ertönt ein entsetzlicher Schrei
und beide Schwestern wälzen sich auf dem Boden und reißen sich in Stücke. Ich
lief hinzu und versuchte, sie zu trennen, und dann erwischte ich einen Schlag
ins Gesicht oder einen Biß und ich begann zu bluten. Warum sie sich schlugen,
habe ich nie erfahren. Glücklicherweise wohnten wir im obersten Stock, in einer
Dachwohnung, und auf unserem Flur hatten wir keine Nachbarn. Es kam vor, daß
eine der Schwestern ans Fenster lief und versuchte, sich hinunterzustürzen,
während die andere ein Messer ergriff, um sich den Hals durchzuschneiden. Eine
packte ich am Bein und der anderen nahm ich das Messer fort. - Isaac Bashevis Singer, Die
Geschichte zweier Schwestern. In: I.B.S., Leidenschaften.
Geschichten aus der neuen und der alten Welt. München 1993. (zuerst 1975)
Dreier, flotter (14)
Dreier, flotter (15) »Kennen Sie Signora Guglielmino?«
»Nie gesehen.«
»Aufregende Frau, vierunddreißig oder fünfunddreißig Jahre alt, ziemlich klein mit einem gewaltigen Busen, die Haare schwarz und nach hinten gekämmt, trägt Ohrgehänge wie eine Zigeunerin. Die Männer laufen ihr nach, aber sie ist strohdumm ... Vor drei Jahren ist sie dem Anwalt nach Palermo durchgebrannt. Was für ein Abenteuer! Ein kleiner, aufgeblasener Winkeladvokat wie er kann hier im Ort ganz gut überleben, weil die Leute Wichtigtuerei mit Intelligenz verwechseln. Aber sobald er den Ort verläßt, ist er eine Null. Sie ist, wie gesagt, strohdumm. Wenn man ihr die Familie nimmt, wird sie zur Dreigroschendirne ... Schon am zweiten Tag nach ihrer Flucht kriegten sie es mit der Angst und kehrten zurück.«
»Und ihr Mann?«
»Verzieh ihr ... Er ist freundlich und hilfsbereit, der Ärmste ... Sollte er sie vielleicht erschießen? Rosalia behauptete, sie habe ihre Schwester in Bagheria besucht, und er tat so, als glaubte er ihr.«
Elena dachte staunend: ›Mit drei Sätzen vernichtet er drei Menschen: Der
Liebhaber ist ein Hanswurst,
die Frau eine arme Hure und ihr
Mann ein Feigling.‹ -
Giuseppe Fava, Ehrenwerte Leute. Zürich 2003 (zuerst 1975)
Dreier, flotter (16) Ein äußerst skrupulöser
Herr hat für den folgenden Tag drei nachmittägliche Verabredungen getroffen:
die erste mit einer Frau, die er liebt; die zweite mit einer Frau, die er lieben
könnte; die dritte mit einem Freund, dem er, kurz gesagt, sein Leben und vermutlich
seinen Verstand verdankt. In Wirklichkeit nähme keine dieser Personen an seinem
Leben teil, wenn nicht auch die anderen daran teilhätten; weshalb das nachmittägliche
Stelldichein nicht nur auf psychologischen, sondern auch auf schicksalhaften
Grundlagen beruht. Dennoch sind die drei Personen, die einander wechselseitig
nötig haben, auch wechselseitig unvereinbar. Keine der beiden Frauen hegt Sympathie
für den Freund, da keine der beiden Frauen Leben und Verstand des Herrn gerettet
hat - im Gegenteil: ihr unduldsames und schrulliges Benehmen machte das Eingreifen
eines behutsamen und zerstreut scharfsinnigen Freundes notwendig. Der Freund
betrachtet den Herrn als sein Meisterwerk und wünscht nicht, daß er ohne weiteres
zugänglich wäre. Die geliebte Frau mißtraut der Frau, die der Herr lieben könnte
- nicht so sehr wegen der Liebe, welche sie vermutlich dem Herrn, der sie liebt,
entgegenbringt, als wegen der Würde, die der Herr zu wahren wußte, wobei er
den Wahnsinn riskierte und von einem Freund gerettet werden mußte, den alle
gern kennenlernen möchten und über dessen Eigenschaft eines Retters alle im
Bilde sind - wiewohl niemand es wagt, um ein formelles Vnrgestelltwerde zu bitten.
Schließlich liebt die Frau, die der Herr lieben könnte, den Herrn nicht wieder,
der sie seinerseits nicht wirklich liebt, der aber weiß, daß er Gegenstand einer
potentiellen Liebe ist und merkt, daß er diese Möglichkeit, die wahrscheinlich
unerfüllt bleiben muß, zu genießen beginnt. - (
pill
)
Dreier, flotter (17) 13. Dezember 1916. Wir lagen wieder in Frankreich, in dem traurigen verödeten Gebiet bei Margny-aux-cerises in Bereitschaft. Starker Wind wehte; Granaten wechselten eintönig über uns. Furcht lag auf mir. Mein Leib hatte nahezu völlig sein Gewicht verloren; ich fühlte mich wie eine Flaumfeder leicht und mußte gewärtigen, daß der zunehmende Wind mich alsbald emporheben und zu den Franzosen hinübertragen werde. Da schmiegte sich etwas an meinen Ellenbogen, und siehe, es war Matschka, das graue Kätzchen, das ich in Kezdi-Almäs hatte sterben sehen. Groß und hübsch war es geworden, das weiße Flöckchen im Nacken glänzte wie ein Licht.
„Wie geht es dir?" sagte ich und wollte es streicheln; da sprang es
mit weitem Satz in einen der wassergefüllten Granattrichter, verschwand und
tauchte nach einer Weile wieder
auf, eine schimmernde, mit roten Zeichen bemalte Granate
im Maul, die es herantrug und in demütiger Haltung vor mich hinlegte. Wie
froh war ich! „Die Granate ist schwer," sagte ich mir, — „wenn ich sie
in der Hand halte, kann mich der stärkste Wind nicht mehr mitnehmen." Als
ich sie aber ergriff, war es kein Geschoß mehr, sondern ein zappelnder,
goldgrauer Fisch mit rötlichen Punkten. „Der muß gebraten
werden!" rief eine wohlbekannte Stimme hinter mir. Ich sah mich um,
da stand Vally vor einem Herdfeuer, neben ihr Wilhelm, und auch dieser schrie:
„Der muß gebraten werden!" Sonderbar lächelnd nahm Vally den
Fisch und übergab ihn dem Söhnchen, das ihn zum Herde trug. Dann legte sie sich zu mir
nieder; wir umarmten uns und drängten uns innig aneinander,
wobei mir ein wenig auffiel, daß sie wohl Vally war, zugleich aber auch Regina,
dann wieder die Ungarin, die hier in der fremden Stube schlief. Aber wie
liebte ich die drei Frauen in der einen Gestalt! Wie waren sie wirklich
ein Wesen, mächtig seiend eine in der andern! Freilich, irgendwo
in der Tiefe, wo der Traum selber zu träumen schien, war etwas Dunkles, ein
stiller Einwand, der uns nicht ganz zur Freude kommen ließ. -
Hans Carossa, nach (
je
)
Dreier, flotter (18)
Dreier, flotter (19)
Dreier, flotter (20)
Dreier, flotter (21) Marie wartete
auf Thomas und träumte von Roland. Sie trug ein schottisches Mieder. Als sie
beide kurz vor dem Einschlafen waren, sagte sie zu Thomas: »Du bist noch schön
jung, du weißt nicht, was das heißt, Kleiner. Laß mit dir machen und sag mir,
was du fühlst.« Thomas schlief, wie immer, mit offenem Mund. -
(lib)
Dreier, flotter (22)
Dreier, flotter (23) Gelegentlich
der dunklen Handelsgeschäfte auf dem Bahnhof trat
in das Leben des jungen Grans noch ein zweiter Freund:
Ein gleichaltriger, auffallend begabter Bursche, welcher sich ebenfalls auf
den Straßenhandel verlegt hatte: Hugo Wittkowski, ein graziöser, schwarzhaariger
Junge, schlank, beweglich, mit lebendigen und doch etwas verträumten Augen,
sinnlichem Mund und kluger Stirn. Besseres Naturmaterial als so mancher, der
„niemals aß von des Schierlings betäubenden Körnern". Dieser Wittkowski,
viel gewandter und nachdenklicher als Haarmann,
wurde Haarmanns großer Haß. Aus vielerlei Gründen! Zunächst aus Eifersucht,
da Wittkowski den Grans dem Haarmann "entfremdete". Sodann, weil Wittkowski
mit Grans gemeinsam den Haarmann mehrfach ausnutzte, ihm Geld entlieh und nachher
gar nicht oder nur tropfenweise zurückzahlte. Vor allem aber darum, weil mit
Wittkowski, der keine Neigung zur gleichgeschlechtlichen Liebe zeigte, eine
tolle Weiberwirtschafl in Haarmanns Behausung einzog. Als der Alte und die zwei
Jungen zwei Jahre später vor Gericht standen und in Haarmann ein (vom Gericht
viel zu spät durchschauter) teuflischer Plan gereift war, die beiden Jungen
(den geliebtesten seiner Buhljungen, wie den verhaßtesten)
mit sich in den Tod zu reißen, da zischte Haarmann den Wittkowski an: „Du bist
ja immer hinter mir her gewesen! Du hast dich mir hundertmal zur Liebe angeboten!
Aber ich wollte dich nicht. Du warst zu schlecht für mich." Und der andere
erwidert ruhig höhnend: „Ich liebe nur Frauen." - Theodor Lessing, Haarmann. Die Geschichte eines Werwolfs. Berlin 1925
Dreier, flotter (Vorphase, 24)
- Guido Crepax
|
||
|
||