raufgänger   Wie so gänzlich anders  war die Karriere des großmütigen armen Squire Mytton, der, wie ich glaube, schon vor seiner Geburt zu den Schrecken des Todes verdammt war, denen er dann im Alter von achtunddreißig Jahren erlag. John Mytton, Gutsherr auf Halston in der Nähe von Shrewsberry, wurde am 13. September 1796 geboren und blieb, noch nicht ganz zwei Jahre alt, vaterlos zurück. Im Alter von zehn Jahren war er, wie sein Freund Nimrod mitteilt, ein »Früchtchen erster Güte«. Sein Nachbar, Sir Richard Puleston, taufte ihn sogar — in der ihm eigenen so treffenden Ausdrucksweise — »Mango, König der Draufgänger«, und er machte diesem Titel bis zum Ende seines Lebens alle Ehre.

Aber ach, wie wenig kannte Sir Richard Puleston — trotz der ihm eigenen treffenden Ausdrucksweise —, wie wenig kannte irgendein anderer Freund John Myttons das dunkle Schicksal, das ihm beschieden war: die acht Flaschen Portwein pro Tag, aus denen sehr bald kaum weniger Flaschen Branntwein wurden, den ruinierten Besitz, das ruinierte Leben, das Schuldgefängnis, und das schon mitten im Delirium tremens.

Da kommt er, dieses arme, getriebene, betrunkene Wesen, herbeigeweht von einem wilden Sturm. Er schien sein Leben damit zu verbringen, wie ein Strauß zu rennen — er schritt ebenso schnell und kraftvoll aus wie dieser Vogel —, zu rasen, zu springen, zu fahren, zu jagen — immerzu gehetzt von einem heftig wütenden, düsteren Wind, Und immer meinte er, diesen Wind zu überlisten. Sollte er doch durch ihn hindurchfahren und ihn bis auf die Knochen verzehren! Er würde es ihm schon zeigen, wie wenig ihn das kümmerte!

Draufgänger

Squire Mytton nimmt eine
Abkürzung

Dieser halb-irre, dahinjagende und gejagte Mensch trug stets nur die allerdünnsten Seidensocken, die allerleichtesten Stiefel oder Schuhe, so daß er im Winter eigentlich dauernd nasse Füße hatte. Seine Jagd-Breeches waren ungefüttert, er trug einzig eine dünne Weste, und die fast immer offen. Selten nur hatte er einen Hut auf dem Kopf, und im Winter ging er ohne Unterhosen in weißen ungefütterten Leinenhosen und mit einem leichten Jackett auf die Jagd. Ganz gleich wie grimmig der Frost war, wie heftig und toll der ungestüme Wind seines Lebens blies — er watete ausnahmslos durch jedes Wasser, brach in jedem vereisten Teich ein und stapfte hindurch, und man konnte beobachten, wie er, ausgezogen bis aufs Hemd, im ärgsten Schneetreiben Wildenten nachspürte. Einmal legte er sich gar im Hemd auf die Lauer, um sie in der Dämmerung abzupassen. Ein anderes Mal waren die Wildhüter von Woodhouse, dem Besitz seines Onkels, einigermaßen überrascht — um das mindeste zu sagen —, als sie Squire Mytton splitternackt und äußerst entschlossen ein paar Enten über das Eis verfolgen sahen.

Es ist wahrhaftig ein Wunder, daß John Mytton das achtunddreißigste Jahr erreichte, denn kein anderer Mann auf dem friedvollen Lande hat sich je häufiger in Gefahr begeben, sich mehr Unfällen ausgesetzt als er. »Wie oft«, fragte sich sein Freund Nimrod bewundernd, aber auch voller Bedauern, »ist ihm sein Pferd mit dem Einspänner durchgegangen, wie oft hat er in tiefem Wasser gestrampelt, ohne schwimmen zu können! Wie kam es, daß er nicht bei einer der zahllosen Straßen-Raufereien, in die er verwickelt war, in Stücke gerissen wurde?« Bei einer Gelegenheit, einem Pferderennen in Lancashire, wäre ihm das fast passiert, als nämlich eine Diebesbande es sich in den Kopf gesetzt hatte, Squire Mytton in ein Haus hineinzustoßen, während eine andere sich im gleichen Augenblick darauf versteifte, ihn da herauszuzerren.

Bei dieser Begegnung gewann keine von beiden, weil nämlich der Squire durch seine enormen Körperkräfte standhaft blieb, und schließlich wurde einer der Herren, die an diesem Kampf beteiligt waren, in die Kolonien geschickt — zum Lohn für seine Gewalttätigkeit und die geplante Räuberei.

Der Squire ritt unausgesetzt über gefährliche Hindernisse, fiel — wenn er betrunken war — vom Pferd, fuhr sein Tandem in rasendem Tempo und schenkte Kreuzungen und Ecken so wenig Beachtung wie seinen Gläubigern.

»Da kommt Squire Mytton«, sagten die Landleute immer, wenn sie ein verrückt gelenktes Tandem erblickten, das dahinfuhr wie der Nordwind. Und sie riefen »Hurra!«, denn der Squire war warmherzig und beliebt. Einmal ritt er in vollem Galopp über ein Kaninchengehege, um herauszufinden, ob sein Pferd stürzen werde. Er fand es heraus. Roß und Reiter überschlugen sich mehrmals, um ein paar Augenblicke später heil wieder auf die Füße zu kommen.  - Aus: Edith Sitwell, Englische Exzentriker. Berlin 2000 (Wagenbach Salto 93, orig, 1933)

Draufgänger (2)  Er zieht das Schwert, reißt einen Berg aus, zieht einen Zahn und fördert fähige Männer. Er öffnet die Tür, macht ein Tauziehen, lockt das Gift heraus, jätet Unkraut. Er zupft die Haare der Augenbrauen aus, holt die Zeltpflöcke aus dem Boden, lichtet die Anker und macht sich aus dem Staub. - (liu)

Draufgänger (3)  Nach heftigem Anrudern warf der Harpunier den Fisch fest, und Radney lief mit der Lanze in der Hand nach vorne. Er scheint im Fangboot immer ein Draufgänger gewesen zu sein. Jetzt forderte er durch das Verhandzeug hindurch die Leute auf, ihn zuoberst auf den Buckel des Wals auflaufen zu lassen. Das behagte seinem Leinenschießer nicht schlecht; er holte das Boot Stück um Stück immer näher an den Fisch heran, durch einen blendenden Gischt hindurch, in welchem zwei verschiedene Weiß verschmolzen, bis plötzlich das Boot wie auf eine blinde Klippe auflief, überholte und den im Bug stehenden Steuermann hinausprellte. Im selben Augenblick, als er auf dem glitschigen Rücken des Wals landete, richtete sich das Boot wieder auf und wurde durch die Dünung seitwärts geschleudert, während Radney auf der jenseitigen Flanke des Wals ins Wasser schlitterte. Er begann sich durch den fliegenden Schaum zu schlagen, und einen Augenblick lang sah man ihn undeutlich durch den gischtigen Schleier hindurch, wie er sich krampfhaft bemühte, aus dem Gesichtskreis Moby Dicks zu entkommen. Doch der Walfisch warf sich plötzlich in einem gewaltigen Wirbel herum, nahm den Schwimmenden ins Maul, rundete den Rücken hoch heraus und tauchte dann mit seiner Beute kopfüber weg.

Steelkilt hatte unterdessen, sobald das Boot gegen den Wal angelaufen war, mehr Leine gegeben, um hinter dem Gestrudel zurückzubleiben; gelassen verfolgte er den Vorgang und machte sich seinen eigenen Spruch dazu. Ein plötzlicher Ruck des Bootes nach unten ließ ihn jedoch schleunigst nach dem Messer greifen. Er kappte die Leine, und der Wal war los und ledig.

In einiger Entfernung kam indessen Moby Dick nochmals hoch; ein paar Fetzen von Radneys rotem Troier flatterten von den Zähnen, die ihn zerrissen hatten. Alle vier Schaluppen nahmen die Verfolgung auf, vermochten aber dem Wal nicht beizukommen, der sich schließlich in der Ferne verlor.  - (mob)


Kerl Mut

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