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lebendiges Ein paar müßige und dennoch von geheimer Furcht diktierte
Fragen werden nicht ausbleiben. Etwa ob jenes Dorf, das so gänzlich ohne
Leben erscheint - denn das maß man immerhin sagen, daß dort nie, zu keinem Zeitpunkt,
ein untrügliches Zeichen von Leben wahrgenommen wurde, nicht einmal eine Fußspur
im regennassen raffgierigen Sand - ob jenes Dorf nicht vielleicht doch seit
jeher und für allezeit von einer Art Leben besucht oder sogar bewohnt wird,
das dem Leben, welches wir kennen, in mancher Hinsicht nicht unähnlich ist,
in änderet aber gänzlich fremd; sagen wir, es wäre von zahllosen Tieren bevölkert,
unter ihnen sogar ein König, und diese Tiere wären so geartet, daß sie weder
Fußspuren noch andere Zeichen hinterlassen könnten und dürften; und sie besäßen
auch keine Stimme; und es könnte auch sein, daß dieser verstummte Zustand, in
den die Angst nicht ohne einen Anflug von lustvollem Schauder zurückkehrt, auf
Krankheit, Folter oder Schrecken beruhte, oder schließlich auf natürlichem Gehorsam.
Auf Krankheit: doch dann wäre dieses Dorf nicht verlassen, denn mehr als ein
Dorf wäre es dann ein Geschwür - sind jene
Häuser denn nicht aus Eiter gebaut, ist es nicht
eine Purulenz von Gebäuden, ein Furunkelkomplex, eine Wunde der Erde? Ein Tumor,
gewiß, ein Tumor, eine Vete-roplasie, eingewachsen in die Erde zu ihrer Entfleischung
und Tötung; und ist dann der Fluß nicht abfließende Fäulnis und der Regen ein
natürliches Weinen des Körpers, das die verknüpften Nervenfasern löst, und vielleicht
eine Selbsttrauer, ein Sich-als-tot-Be-weinen, denn vom Himmel ist schließlich
nichts zu sehen, weshalb nicht ausgeschlossen ist, daß die Tränen gar nicht
himmelhaft sind, sondern seltsam natürlich, aber was heißt das hier, »natürlich«?
Ist es denkbar, daß das Dorf und der Fluß und das Schloß als Krankheit irgendwie
teilhaben am Leben nicht als reinem zeitlichem Vollzug, sondern als pathologischem
Verschleiß, eben als Tod infolge von malignem Verlauf?
- Giorgio Manganelli, Geräusche oder Stimmen. Berlin 1989
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