orf,
einsames
Das einsamste Dorf Hessens - Biedebach. »Da lernt man
Weh und Ach«. Ich glaubte es nicht: die Leute verliessen die Arbeit und stoben
ins Haus als ich kam. Ich ging auf einen Knaben von 15 los und frug etwas, da
schrie er auf und lief weg. Auf den Feldern sassen lauter einzelne junge Leute,
als ich kam, rotteten sie sich zusammen und flohen in den Wald.
- Hans Jürgen von der Wense, Von Aas bis Zylinder, Bd. I. Frankfurt
am Main 2005
Dorf,
einsames
(2) Wie geschändete Grüfte gähnten wüste
Dörfer in die Nacht, von weißem Mondlicht durchflutet, von Aasdunst umwittert,
mit grasbedeckten Straßen, über die lautlose Rudel von Ratten schwirrten. Zögernd
bog man um die Brandstätten reicher Höfe, in unbestimmter Angst, plötzlich auf
die Geister friedlichem Dahinleben Entrissener zu stoßen. Konnte der Abbé nicht
hinter der Ruine des Pfarrhauses auftauchen? Was mochte das Dunkel der Keller
verbergen? Eine Frauenleiche mit strähnigem Haar auf schwarzen Grundwassern
treibend? In den Ställen hingen Tierkadaver, immer noch an verkohltes Gebälk
gekettet. Im geborstenen Torweg lag wie ein winziger Leichnam eine Kinderpuppe.
- Ernst Jünger, Der Kampf
als inneres Erlebnis (1926)
Dorf,
einsames
(3) Die Dörfer der Sologne erscheinen einem
oft wie die gut gepflegten und ordentlichen Nebengebäude eines verschwundenen
Schlosses, dessen Spuren sich sogar in der Erinnerung verloren haben. Kleine
eingeschossige Häuser, mitunter ganz aus Ziegeln, immer mit einer Ziegeleinfassung
um Tür und Fenster. Die Schiefermütze des Daches mit seinem spitzen Giebel ist
über den schmalen Sims der Fassade bis auf die Augenbrauen heruntergezogen.
Straße und Gehsteig scheinen immer frisch gefegt. Kein Stall, keine Scheune,
nicht einmal ein Hühnerhof (wozu auch? wenn die Fasane ihr Futter friedlich
am Wegrand aufpicken), kein Vieh, keinerlei staubige oder schmutzige Arbeit.
Dafür aber kleine, umzäunte und oft blühende Vorgärten, ein Blumenstreifen —
Petunien, Geranien — zwischen Mauern und Gehweg. Diese Dörfer, auf deren Straßen
sich so wenig bewegt, lassen nicht an Verlassenheit
und Leere denken wie die aufgegebenen Dörfer der Causses oder der Corbières,
sondern eher an eine verborgene und nahezu heimliche Tätigkeit, die tagsüber
die bebauten Orte flieht und vom Morgengrauen bis zum späten Abend in Wald,
Heide und dem umliegenden Brachland geräuschlos vor sich geht, von ihnen verschluckt
wird: manchmal könnte man glauben, ein Land von gewissenhaften Widerständlern
zu durchqueren, die ihre Fassaden neu gestrichen, die Kupferbeschläge blank
geputzt und die Gehwege geschrubbt haben, bevor sie in den Untergrund gingen
und den Laden zusperrten. - (
grac
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