oppelt
gemoppelt
Alle Morde wiesen dieselben typischen Merkmale auf: zunächst Verhinderung jeden
Widerstandes, Zerschmetterung des Schädels, dann Herbeiführung ewigen Stillschweigens
durch das Durchschneiden der Kehle. Das übrige ergab sich nun von selbst: Marrs
Sturz wird vermutlich ein dumpfes Geräusch verursacht haben, das man, da die
Türe geschlossen war, nicht mit irgendeinem Straßenlärm verwechseln konnte.
Wahrscheinlicher jedoch ist, dass man in der Küche erst aufmerksam wurde, als
Williams dabei war, Marr die Kehle durchzuschneiden, denn es lässt sich annehmen,
dass es dem Mörder bei der gebotenen Eile und in der Enge hinter dem Ladentisch
unmöglich war, den grauenhaften Prozeß auf einmal zu vollenden, sondern dass
er dem Verwundeten mehrere Schnitte versetzte, wobei dieser tief stöhnte. Daraufhin
kam jemand die Treppe heraufgelaufen, wogegen sich der Mörder wohl besonders
vorgesehen hatte. Mrs. Marr und der Lehrling, beide jung und behende, stürzten
natürlich zum Ausgang nach der Straße. Wäre Mary zu Hause gewesen und hatte
es der Mörder gleichzeitig mit allen dreien zu tun gehabt, so wäre es leicht
möglich gewesen, dass wenigstens einer von ihnen glücklich die Straße erreicht
hätte. Doch das schreckliche Beil streckte sowohl den Jungen wie dessen Herrin
auf dem Wege zur Tür nieder. Sie brachen mitten im Laden be-wusstlos zusammen,
und in demselben Augenblick machte sich der Höllenhund auch schon mit seinem
scharfen Messer über sie her. Im ersten Schreck über das Stöhnen ihres Mannes
muss Mrs. Marr ihre sonstige Klugheit im Stich gelassen haben, sonst hätten
sie und der Knabe ihre Zuflucht wohl zum hinteren Ausgang genommen, wo ihr Hilferuf
auf der Straße gehört worden wäre. Außerdem hätten sie auf jenem Wege dem Mörder
vielleicht ausweichen können, was sich in dem beschränkten Räume des engen Ladens
unmöglich war.
Es gibt keine Worte, das Entsetzen zu schildern, das die Zuschauer beim Anblick
der grausigen Tragödie ergriff. Man wusste, dass ein Mitglied des Haushalts
durch Zufall der allgemeinen Metzelei entronnen war, doch begann Mary als man
sie ausfragen wollte, irre zu reden. Sie wurde von einer mitleidigen Nachbarin
weggeführt und zu Bett gebracht. So kam es, dass eine Zeit lang niemand zur
Stelle war, der mit Marrs Familienverhältnissen genügend Bescheid wusste, um
an das kleine Kind zu denken. Der tapfere Pfandleiher hatte sich nämlich zu
dem Leichenbeschauer und einem anderen Nachbarn auf den Weg gemacht, damit dieser
das Verbrechen auf dem nächsten Polizeiamt meldete. Plötzlich erinnerte sich
jemand unter der Menge an das Kind des ermordeten Paares, das man entweder unten
oder in einem der oben gelegenen Schlafzimmer suchen musste, und sofort begab
sich eine Menschenmenge die Treppe zur Küche hinunter, wo die Wiege stand. Die
Decken und Kissen befanden sich in unbeschreiblicher Unordnung, und als man
das Durcheinander entwirrte, kamen Blutlachen zum Vorschein, auch war das Verdeck
der Wiege total zersplittert. Den Elenden hatten augenscheinlich das gewölbte
Verdeck am Kopiende der Wiege sowie die Kissen und Decken um das Köpfchen des
Kindes in seiner Bewegungsfreiheit behindert. Infolgedessen hatte er das erstere
mit seinem Beil zertrümmert und schließlich auch dem kleinen, unschuldigen Geschöpf
das Messer an die Kehle gesetzt. Ohne ersichtlichen Zweck, höchstens vielleicht,
um sich den Anblick der von ihm selbst verübten Scheußlichkeiten zu ersparen,
schichtete er danach die Decken wieder sorgfältig über der kleinen Leiche auf.
- Thomas de Quincey, Der Mord als schöne Kunst betrachtet.
[Berlin ?] 2002
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