oppelgängerwelt Ich schritt durch ein Dickicht dahin auf einem glatten, weißen Wege, doch ich spürte den Boden mit meinen Füßen nicht, und auch, wenn ich die Bäume und Sträucher ringsum berühren wollte, konnte ich ihre Oberfläche nicht greifen: Immer lag eine dünne Schicht Luft dazwischen, die sich nicht durchdringen ließ. Ein fahler Glanz wie von faulem Holz bedeckte alles und machte das Sehen deutlich. Die Umrisse der Dinge, die ich wahrnahm, schienen locker, molluskenartig aufgeweicht und wunderlich vergrößert. Junge federlose Vögel mit runden frechen Augen hockten feist und gedunsen gleich Mastgänsen in einem riesigen Nest und kreischten auf mich herab, eine Rehkitze, kaum noch fähig zu laufen und doch schon so groß wie ein völlig entwickeltes Tier, saß träge im Moos und drehte, fett wie ein Mops, schwerfällig den Kopf nach mir.
Eine krötenhalte Faulheit in jedem Geschöpf, das mir zu Gesichte kam.
Allmählich ging mir die Erkenntnis auf, wo ich mich befand: In einem Land,
so wirklich und wahrhaftig wie unsere Welt und dennoch nur ein Widerschein von
ihr: m dem Reich der gespenstischen Doppelgänger,
die sich von dem Mark ihrer irdischen Urformen nähren, sie ausplündern und selber
ins Ungeheure wachsen, je mehr sich jene verzehren in vergeblichem Hoffen
und Harren auf Glück und Freude. Wenn auf der Erde jungen Tieren die Mutter
weggeschossen wird, und sie voll Vertrauen und Glauben auf Nahrung warten und
warten, bis sie in Qualen verschmachten, entsteht ihr gespenstisches Ebenbild
auf dieser verfluchten Geisterinsel und saugt wie eine Spinne das versik-kernde
Leben der Geschöpfe unserer Erde in sich: Die im Hoffen entschwindenden Kräfte
des Daseins der Wesen werden hier Form und wucherndes Unkraut, und der Boden
ist geschwängert von dem düngenden Hauch einer verwarteten Zeit.- Gustav
Meyrink, Der Kardinal Napellus. Stuttgart 1984 (Bibliothek von Babel Bd 18,
Hg. Jorge Luis Borges)
|
||
|
|
|