Doppelgänger, sterbender   »Du wirst unser bestes Gedicht schreiben, eine Elegie.«

»Auf den Tod von...«, sagte ich. Ich wagte den Namen nicht auszusprechen.

»Nein. Sie wird länger bleiben als du.«

Wir schwiegen. Er fuhr fort:

»Du wirst das Buch schreiben, von dem wir so lange geträumt haben. Um 1979 wirst du begreifen, daß dein angebliches Werk nichts weiter ist als eine Reihe von Entwürfen, Entwürfen für alles mögliche, und du wirst der eitlen und abergläubischen Versuchung nachgeben, dein großes Buch zu schreiben. Der Aberglaube, der uns den Faust von Goethe zugefügt hat, Salammbo, den Ulysses. Ich habe unglaublich viele Seiten vollgeschrieben.«

»Und am Ende hast du begriffen, daß du gescheitert warst.«

»Schlimmer, Ich habe begriffen, daß es ein Meisterwerk war in des Wortes überwältigendster Bedeutung. Meine guten Vorsätze hatten die ersten Seiten nicht überdauert; auf den folgenden standen dann die Labyrinthe, die Messer, der Mann, der sich für ein Abbild, das Spiegelbild, das sich für wirklich hält, der Tiger der Nächte, die Schlachten, die im Blut wieder aufleben, Juan Murana blind und unselig, Macedonios Stimme, das Schiff, gebaut aus den Nägeln der Toten, das Altenglische, wieder aufgesagt an den Abenden.«

»Dies Museum ist mir vertraut«, bemerkte ich ironisch.

»Dazu die falschen Erinnerungen, das Doppelspiel der Symbole, die langen Aufzählungen, die gekonnte Verwendung des Banalen, die unvollkommenen Symmetrien, die die Kritiker mit Jubel aufspüren, die nicht immer apokryphen Zitate.«

»Hast du das Buch veröffentlicht?«

»Ich habe ohne Überzeugung mit der melodramatischen Absicht gespielt, es zu vernichten, vielleicht zu verbrennen. Schließlich habe ich es unter einem Pseudonym in Madrid veröffentlicht. Man hat von einem plumpen Borges-Imitator gesprochen, der leider nicht Borges wäre, nur äußerlich sein Vorbild kopiert hätte.«

»Das wundert mich nicht«, sagte ich. »Jeder Schriftsteller wird am Ende sein dümmster Schüler.«

»Das Buch war einer der Wege, die mich zu dieser Nacht geführt haben. Was die übrigen betrifft... Die Demütigung des Alters, die Überzeugung, jeden Tag schon einmal erlebt zu haben ...«

»Ich werde das Buch nicht schreiben«, sagte ich.

»Du wirst. Meine Worte, jetzt Gegenwart, werden kaum die Erinnerung an einen Traum sein.«

Mich ärgerte sein dogmatischer Ton, zweifellos der, den ich in meinen Vorlesungen gebrauche. Mich ärgerte, daß wir uns so ähnlich waren und daß er die Straffreiheit ausnutzte, die ihm die Nähe des Todes gewährte. Um mich zu rächen, sagte ich:

»Bist du so sicher, daß du sterben wirst?«

»Ja«, antwortete er. »Ich verspüre eine Art von Süße und Erleichterung, wie ich sie noch nie verspürt habe. Ich kann sie nicht vermitteln. Alle Worte bedürfen einer gemeinsamen Erfahrung. Warum scheint dich das, was ich sage, so zu ärgern?«

»Weil wir uns zu ähnlich sind. Ich hasse dein Gesicht, das meine Karikatur ist, ich hasse deine Stimme, die mich nachäfft, ich hasse deinen geschwollenen Satzbau, der der meine ist.«

»Ich auch«, sagte der andere. »Darum habe ich beschlossen, Selbstmord zu begehen.«

Vom Grundstück her zwitscherte ein Vogel.

»Es ist der letzte«, sagte der andere.

Er winkte mich an seine Seite. Seine Hand suchte meine. Ich wich zurück; ich fürchtete, die beiden Hände würden verschmelzen.

Er sagte: »Die Stoiker lehren, daß wir uns nicht über das Leben beklagen sollen; die Tür des Kerkers steht offen. Ich habe das immer so verstanden, aber Trägheit und Feigheit ließen mich zögern. Vor etwa zwölf Tagen hielt ich in La Plata einen Vortrag über das sechste Buch der Aeneis. Plötzlich, während ich einen Hexameter skandierte, wußte ich, was mein Weg ist. Da habe ich diesen Entschluß gefaßt. Seit jenem Augenblick habe ich mich unverwundbar gefühlt. Mein Los wird das deine sein; du wirst eine jähe Offenbarung mitten im Latein und im Vergil erfahren und längst diesen sonderbaren prophetischen Dialog vergessen haben, der sich in zwei Zeiten und an zwei Orten abspielt. Wenn du es wieder träumst, wirst du der sein, der ich bin, und du wirst mein Traum sein.«

»Ich werde es nicht vergessen und es morgen niederschreiben.«

»Es wird auf dem Grund deiner Erinnerung bleiben, unter der Flut der Träume. Wenn du es niederschreibst, wirst du meinen, eine phantastische Erzählung auszuhecken. Es wird nicht morgen sein, dir fehlen noch viele Jahre.«

Er hielt inne; ich begriff, daß er tot war. Ich starb gewissermaßen mit ihm; kummervoll neigte ich mich über das Kissen, und es war niemand mehr da.   - Jorge Luis Borges, 25. August 1983. In: J.L.B., Spiegel und Maske. Frankfurt am Main 2000

 

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