oppelbödigkeit  Herr Sörensen hatte in seiner Natur eine Art Doppelbödigkeit, die seine Umgebung wohl verwirren und aus der Fassung bringen konnte und die vielleicht sogar dämonisch heißen durfte, mit der er selbst jedoch auf recht harmonische Weise auszukommen wußte. Er war auf der einen Seite ein hellwacher, pfiffiger und unermüdlicher Geschäftsmann, mit Augen im Hinterkopf, einer feinen Nase für Profit und einer völlig sachlichen und affektfreien Auffassung vom Publikum und von der Menschheit im allgemeinen. Zugleich aber war er auch der gehorsame Diener seiner Kunst, ein demütiger alter Priester im Tempel, die Worte „Domine, non sum dignus" tief in seiner Brust.

Er ließ sich in seinen Kontrakten auch nicht um einen Heller beschummeln. Während er vor einem fast blind gewordenen, auf Pappe aufgezogenen Spiegel seine Maske zurechtmachte, kam ihm oft unversehens eine Erleuchtung, mit deren Hilfe er andere übers Ohr hauen konnte. Er spielte in vielen plumpen Schwänken (die man damals Possen nannte), regalierte die Zuschauer nach Herzenslust mit Kapriolen, Gebrüll und abenteuerlichen Grimassen und dankte ihnen für den ohrenbetäubenden Beifall mit der Hand auf dem Herzen und einem honigsüßen Lächeln auf den Lippen - und hatte doch dabei die ganze Zeit nichts als die Abendkasse, bis zum kleinsten Pfennigbetrag, im Kopf.

Wenn er dann aber später zur Nacht sein frugales Mahl eingenommen hatte, mit einem Gläschen Schnaps dazwischen, und mit der Kerze in der Hand zu seiner Schlafkammer emporstieg auf einer Treppe, so steil und eng wie ein Hühnersteig, dann stieg er im Geiste so hoch wie ein alter Engel auf der Jakobsleiter. Oben angekommen, setzte er sich ein zweites Mal zu Tisch, mit Euripides, Lope de Vega und Molière, mit den Dichtern aus dem Goldenen Zeitalter seines eigenen Vaterlandes und mit dem Dichter schließlich, der am meisten von allen aussah wie ein Mensch, mit William Shakespeare persönlich. Die unsterblichen Geister waren seine Genossen; und verstanden ihn, wie er sie. In ihrem Kreis konnte er sich gehen  lassen, jubeln und frei sein, oder auch Tränen aus tiefstem Weltschmerz weinen.

Geschäftsfreunde hatten Herrn Sörensen mitunter schon als schamlosen Spekulanten charakterisiert. In seinen Beziehungen zu den Unsterblichen jedoch war er keusch wie eine Jungfrau.  - Tania Blixen, Schicksalsanekdoten. Reinbek bei Hamburg 1988 (zuerst 1958)

 

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