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(dafnis)
Don Quichote (2) Als mir, ich mochte nicht viel älter als zehn Jahre sein, dieses Buch eines Mannes in die Hände fiel, dem Schwert und Feder mit tieferer Notwendigkeit beieinanderlagen, da fand ich keine Spur von Humor darin. Ich las es mit einem wirklich spanischen Ernst. Daß sich hinter dem Ritter vom Monde ein Friseur verbarg und daß es eigentlich unsinnig ist, Weinschläuche mit Degenhieben zu zerfetzen - ich habe es, bei Gott, nicht gemerkt. Ich nahm an der Waffenweihe voll Ehrfurcht teil und machte unter Zittern und Zagen die furchtbare Nacht vor dem Walkmühlenabenteuer mit. Daß sie Sancho auf Bettlaken prellten, das stellte sich ungefähr in der Weise dar, daß einem wackeren Waffengenossen und ehrlichen Kumpan bitteres Unrecht geschah. Jedesmal, wenn das Schwert aus der Scheide fuhr oder die Lanze eingelegt wurde, um dem Gemeinen gegenüber Zeugnis zu geben für ritterliche Art, war ich auf meinen Herrn von der Mancha stolz.
Aber was mir heute noch genau so gefällt wie damals, das ist, daß dieser
Mensch kein Jüngling mehr war, als er die Hintergründe entdeckte, die die
Welt besitzt. Das ist ein Schauspiel, wie das Reis der Torheit auf diesem
schon dürren und angetrockneten Leben zu grünen beginnt und, von innerem
Feuer getrieben, zum Urwald wird, der es undurchdringlich
umstellt. Damals glaubte ich, daß man alt sein müsse, um sich auf so große
und würdige Taten zu verstehen, und heute weiß ich, daß die alten Narren
die besten sind. -
(ej)
Don Quichote (3) Spaßhaft genug ist es, daß gerade die romantische Schule uns die beste Übersetzung eines Buches geliefert hat, worin ihre eigne Narrheit am ergötzlichsten durchgehechelt wird. Denn diese Schule war ja von demselben Wahnsinn befangen, der auch den edlen Manchaner zu allen seinen Narrheiten begeisterte; auch sie wollte das mittelalterliche Rittertum wieder restaurieren; auch sie wollte eine abgestorbene Vergangenheit wieder ins Leben rufen.
Oder hat Miguel de Cervantes Saavedra in seinem närrischen Heldengedichte auch andere Ritter persiflieren wollen, nämlich alle Menschen, die für irgend eine Idee kämpfen und leiden? Hat er wirklich in seinem langen, dürren Ritter die idealische Begeisterung überhaupt, und in dessen dicken Schildknappen den realen Verstand parodieren wollen? Immerhin, letzterer spielt jedenfalls die lächerlichere Figur; denn der reale Verstand mit allen seinen hergebrachten gemeinnützigen Sprichwörtern, muß dennoch, auf seinem ruhigen Esel, hinter der Begeisterung einher trottieren; trotz seiner bessern Einsicht muß er und sein Esel alles Ungemach teilen, das dem edlen Ritter so oft zustößt: ja, die ideale Begeisterung ist von so gewaltig hinreißender Art, daß der reale Verstand, mitsamt seinen Eseln, ihr immer unwillkürlich nachfolgen muß.
Oder hat der tiefsinnige Spanier noch tiefer die menschliche Natur verhöhnen wollen? Hat er vielleicht in der Gestalt des Don Quixote unseren Geist, und in der Gestalt des Sancho Pansa unseren Leib allegorisiert, und das ganze Gedicht wäre alsdenn nichts anders als ein großes Mysterium, wo die Frage über den Geist und die Materie in ihrer gräßlichsten Wahrheit diskutiert wird?
So viel sehe ich in dem Buche, daß der arme, materielle Sancho für die spirituellen Don Quixoterien sehr viel leiden muß; daß er für die nobelsten Absichten seines Herren sehr oft die ignobelsten Prügel empfängt, und daß er immer verständiger ist, als sein hochtrabender Herr; denn er weiß daß Prügel sehr schlecht, die Würstchen einer Olla-Potrida aber sehr gut schmecken.
Wirklich, der Leib scheint oft mehr Einsicht zu haben, als der Geist,
und der Mensch denkt oft viel richtiger mit Rücken und Magen, als mit dem
Kopf. - Heinrich Heine, Die romantische Schule
Don Quichote (4) Er
überschlug sich in grotesken Einfällen, über die er maßlos lachte
und die trotzdem niemals ausschließlich als Spaß
zu nehmen waren. Am bezeichnendsten für ihn, der sein Lebtag nie aus dem
qualvollsten Geldmangel und ganz selten aus buchstäblicher Not herausgekommen
ist, scheint mir der jahrelang zäh verfolgte Plan, durch die Konstruktion
eines Perpetuum mobile mit einem Schlage Multimillionär zu werden. Scheerbart
— und außer ihm noch sein prächtiger »Bär«, die rührendste Gestalt
unter allen Dichterfrauen, dieser weibliche Sancho Pansa, der, der Realität
des Daseins in resoluter Nüchternheit gewachsen, acht Jahre älter als sein
von Bier und Phantasien ewig angesäuselter Don Quichote,
die dicke Zigarre im Munde, alle Verrücktheiten des Dichters
geduldig und gläubig anhörte — Scheerbart und der Bär waren völlig davon
überzeugt, daß das Problem gelöst sei, und was nur immer an kleiner Münze
zusammenzukratzen war, wanderte zum Patentamt.
Zu den Rädern und Gewichten, zu seiner von früh bis spät betreuten Bastelarbeit
gewann aber Scheerbart eine immer persönlichere Beziehung. »Perpeh«
nannte er sein Werk, und ich bekam Postkarten nach München mit dem Postskriptum:
»Perpeh läßt Dich schön grüßen.« Einmal teilte mir Scheerbart mit:
»Perpeh ist fertig; es bewegt sich nur noch nicht«.
- Erich Mühsam, Unpolitische Erinnerungen. Hamburg 2000 (zuerst ca.
1930)
Don Quichote (5)
- Eberhard Schlotter, Don Quijote und Sancho Pansa. In: El Quijote.
Leido por Camilo Jose Cela. Aguafuertes de Eberhard Schlotter. Alicante,
Ed. Rembrandt 1979 (Nach: Flyer FU Berlin 2005, Ausstellung 400 Jahre Don
Quichote)
Don Quichote (6)
Endlich vermochte der Major Stede Bonnet nicht
länger zu widerstehn; er kaufte ein altes, mit zehn Kanonen bestücktes Schiff
und versah es rnit allem, was man zur Seeräuberei brauchte:
Messer, Büchsen, Leitern, Laufbretter, Enterhaken, Beile, Bibeln (zur Eidesleistung),
Fässer mit Rum, Laternen, Ruß zum Schwärzen der Gesichter, Pech, Dochte, um
damit den reichen Kaufleuten die Haut zwischen den Fingern zu versengen, und
einen Haufen schwarze Fahnen mit weißem Totenkopf, zwei gekreuzten Schenkelknochen
und dem Namen des Schiffes: die6>Vergeltung«. Dann hieß er siebzig Mann seines
Gesindes plötzlich an Bord steigen und fuhr los, in die Nacht hinaus, geradeaus
nach Westen, hart an Saint-Vincent vorbei, in der Absicht, Yucatan zu umsegeln
und die ganzen Küsten mit Kapereien heimzusuchen, bis nach Savannah (wohin er
nicht gelangte).
Der Major Stede Bonnet hatte keine Ahnung von der Schiffahrt. Zwischen Kompaß
und Winkelmesser begann er den Kopf zu verlieren, verwechselte Lee mit Luv,
Gaffel mit Gatt, Bug mit Heck, sagte heuern statt steuern, reffen statt fieren,
gab Befehle zu löschen anstatt zu laden, kurz, er war so verwirrt
von der Fülle unbekannter Ausdrücke und der ungewohnten Bewegung des Meeres,
daß er am liebsten nach Barbados zurückgekehrt wäre. - Marcel Schwob,
Der Roman der zweiundzwanzig Lebensläufe. Nördlingen 1986 (Krater Bibliothek,
zuerst 1896)
Don Quichote (7) »Wäre er nicht schon verwundet
gewesen, hätten sie ihn niemals bekommen«, sagt man in San Celoni. »Die Polizei
hatte nämlich Angst vor ihm.« Das schönste Epitaph formulierte aber ein Freund
des Toten, ein Maurer, in Perpignan, vor der Venus Maillols, die das
Stadtzentrum Perpignans ziert: »Als wir jung waren und die Republik ausgerufen
wurde, waren wir ritterlich und dabei noch geistvoll (caballeresco pero espiritual).
Wir sind inzwischen gealtert, nicht jedoch Sabaté.
Das war ein Guerrillero aus Instinkt. Ja, das war einer jener Quixotes, die
Spanien hervorbringt.« - (
hob
)
Don Quichote (8) Als Architekt der Illusion, der der Mann ist, kann er nur in der vollen Blüte und auf dem höchsten Gipfel seiner Liebe eine vage Ahnung ertragen, wie realistisch seine Frau ihn unter der Oberfläche ihrer Schmeicheleien sieht. Seine Liebe zu ihr wird möglicherweise abflauen, bevor es ihre Liebe zu ihm tut. Und dies wird geschehen, eben weil seine Liebe von einer übertriebenen Bewunderung für sie abhängt, die, wenn er nicht etwas von einem Don Quijote an sich hat, allmählich nachlassen wird. Tragik wird der »Ausschließlichkcit« ihrer Liebe drohen, wenn er ihrer wirklich müde geworden ist und sie nur noch als etwas betrachtet, was seiner Seele fremd ist und seinen Geist belastet. An diesem Punkt werden seine Eitelkeit sowie ihre »Verstimmungen« und »Empfindlichkeiten« ihm bald beibringen, daß sie sich keinerlei Illusionen über seine Persönlichkeit macht. Und dann wird ein weiteres Element hinzukommen. Das langsame Abkühlen seiner Liebe zu ihr wird in der Frau eine blinde Wut erzeugen; eine Wut, die gar nicht so sehr gegen den armen, schwachen Mann selbst, sondern gegen alle Männer gerichtet ist, und deshalb auch gegen alle Naturgesetze; und wenn sie diesem Zorn nachgibt, wird es ihr egal sein, wie sehr sie seine Gefühle verletzt. Soll er doch ein bißchen an der Oberßäche leiden - mehr kann er ja nicht! -, während sie solche Qualen im tiefsten Innern erleidet! Wie kann sie in dieser Gemütsverfassung dem widerstehen, aus ihrer Kenntnis seines Charakters Vorteil zu ziehen? Wie kann sie davon absehen, da zu stochern und zu sticheln, wo sie weiß, daß es am meisten weh tut?
Was für eine Frau die Verbindung dauerhaft macht, ist das Vermögen, ihren
Mann erkennen zu lassen, daß sie ihn nicht nur liebt, sondern auch noch wahnsinnig
gern mag. Was für einen Mann die Verbindung dauerhaft macht, ist jenes Element
des rational-irrationalen »Don Quijote« im Geistig-Seelischen bei ihm. Und worin
besteht dieses Don Quijote-Element? Es besteht in einem Akt der willentlichen
Einbildung, einem Akt der männlichen Seele, der wirklich kreativ ist, einem
Akt, durch den er seine jeweilige Dul-cinca del Toboso in einen unzerstörbaren
und unvergänglichen Schrein stellt. Der Akt der willentlichen Einbildung, von
dem ich rede, gibt einem Mann tatsächlich die Kraft, seine Frau zu ihren Lebzeiten
schon so zu behandeln, als wäre sie bereits tot... was die kostbarste
Essenz einer menschlichen Beziehung und der höchste Triumph des menschlichen
Geistes über die Materie ist. - (cowp)