on Juan    Was für ein Anblick! Wie sollte ich ihn nicht mehr sehen, wie kann ich ihn nur Ihnen vor Augen führen? Raoul, Sie haben schon Totenköpfe gesehen, die von Jahrhunderten gebleicht worden sind, und vielleicht sogar seinen Totenkopf in der Nacht von Perros, falls Sie nicht das Opfer eines Albdrucks waren. Außerdem haben Sie auf dem letzten Maskenball ›den roten Tod‹ umgehen sehen! Aber all diese Totenköpfe bewegten sich nicht, ihr stummes Grauen lebte nicht! Stellen Sie sich, wenn Sie es können, nun vor, daß ein Totenkopf plötzlich zum Leben erwacht, um mit den vier schwarzen Löchern seiner Augen, seiner Nase, seines Mundes seine heftige Wut, seinen dämonischen Zorn auszudrücken, während die Augenhöhlen blicklos sind, denn wie ich später erfuhr, sieht man seine glühenden Augen nur in tiefer Nacht. Ich muß, an die Wand gepreßt, das Entsetzen in Person gewesen sein — und er die Abscheulichkeit in Person!

Da trat er, mit seinen lippenlosen Zähnen fürchterlich knirschend, auf mich zu und überschüttete mich, die ich in die Knie sank, haßerfüllt mit sinnlosen Worten und wahnwitzigen Verwünschungen. Ach, Gott weiß mit was allem!

Über mich gebeugt, rief er: ›Schau hin! Du hast es sehen wollen! Sieh es dir an! Weide deine Augen, berausche deine Seele an meiner verfluchten Häßlichkeit! Betrachte Eriks Gesicht! Jetzt kennst du das Gesicht der Stimme! Es genügte dir wohl nicht, mich nur zu hören, was? Du wolltest auch wissen, wie ich beschaffen bin! Ihr seid alle zu neugierig, ihr Frauen !‹

Er stieß ein Lachen aus und wiederholte: ›Ihr seid alle zu neugierig, ihr Frauen !‹ Ein donnerndes, heiseres, schäumendes, gewaltiges Lachen. Er sagte noch andere Dinge wie: ›Bist du jetzt zufrieden? Ich bin schön, wie? Wenn eine Frau mich so gesehen hat wie du, gehört sie mir. Dann liebt sie mich immer und ewig! Ich bin der Typ des Don Juan.‹

Er richtete sich in seiner ganzen Größe auf, stemmte die Faust in die Seite, wackelte mit der Scheußlichkeit auf seinen Schultern, die sein Kopf war, und brüllte: ›Sieh mich an! Ich bin der triumphierende Don Juan!‹  - Gaston Leroux, Das Phantom der Oper. München 1969 (Hanser Bibliotheca Dracula, zuerst 1910)

Don Juan (2)  Vorsorglich will ich dir ganz im Vertrauen mitteilen, daß du in Don Juan, meinem Herrn, den allergrößten Verbrecher sehen mußt, den die Erde jemals getragen hat, einen Rasenden, einen tollen Hund, einen Teufel, einen Ketzer, der an nichts glaubt, weder an den Himmel, noch an die Heiligen, noch an Gott, noch an Gespenster, der drauflos lebt wie ein wildes Tier, ein Schwein von Epikuräer, ein wahrer Sardanapal, der taub ist für alle christlichen Ermahnungen, die man an ihn richten könnte, und alles, woran wir glauben, für Hirngespinste erklärt. Du sagst, er habe deine Herrin geheiratet; glaub mir, er hätte noch mehr getan, um sein Verlangen zu stillen; er hätte mit ihr zugleich auch dich, ihren Hund und ihre Katze heiraten können. Einen Heiratsvertrag abzuschließen, macht ihm gar nichts aus; er bedient sich gar keiner anderen Lockmittel, seine Schönen zu gewinnen. Er ist ein mit allen Wassern gewaschener Heiratsschwindler. Damen, Fräulein, Bürgerinnen, Bäuerinnen - nichts ist ihm zu heiß oder zu kalt, und wollte ich dir die Namen aller jener nennen, die er an verschiedenen Orten geheiratet hat, so war ich bis zum Abend mit der Aufzählung noch nicht fertig. Du staunst, du entfärbst dich bei diesen Enthüllungen; ich biete dir aber nur ein ganz flüchtig hingeworfenes Konterfei; um es zu vollenden, müßte man den Pinsel viel kräftiger führen. Laß dir aber dieses genügen. Und möge der Zorn des Himmels ihn eines Tages treffen. Ich wollte lieber dem Teufel dienen als ihm; er läßt mich soviel Scheußlichkeiten sehen, daß ich wünschte, er wäre schon ich weiß nicht wo. Aber ein schlechter Mensch als großer Herr ist etwas Furchtbares. Ich muß ihm treu sein, so sehr ich ihn hasse; die Angst zwingt mich, ihm zu dienen, vergewaltigt mein Gefühl und läßt mich wider Willen gutheißen, was ich aus tiefster Seele verabscheue. Da kommt er von seinem Rundgang durch das Schloß, trennen wir uns. Nur noch eins: ich habe dir ein sehr freimütiges Geständnis abgelegt; es kam mir ein bißchen zu geschwind über die Lippen. Sollte aber etwas davon ihm zu Ohren kommen, dann erkläre ich ganz laut, daß du gelogen hast.  - Molière, Don Juan. In: Molière, Werke. Übs.  Arthur Luther, R. A. Schröder, Ludwig Wolde. Wiesbaden 1954 u.ö. (Insel)

Don Juan (3)  Der Don Juan der Erkenntnis: er ist noch von keinem Philosophen und Dichter entdeckt worden. Ihm fehlt die Liebe zu den Dingen, welche er erkennt, aber er hat Geist, Kitzel und Genuß an Jagd und Intrigen der Erkenntnis — bis an die höchsten und fernsten Sterne der Erkenntnis hinauf! — bis ihm zuletzt nichts mehr zu erjagen übrigbleibt als das absolut Wehetuende der Erkenntnis, gleich dem Trinker, der am Ende Absinth und Scheidewasser trinkt. So gelüstet es ihn am Ende nach der Hölle — es ist die letzte Erkenntnis, die ihn verführt. Vielleicht, daß auch sie ihn enttäuscht, wie alles Erkannte! Und dann müßte er in alle Ewigkeit stehen bleiben, an die Enttäuschung festgenagelt und selber zum steinernen Gast geworden, mit einem Verlangen nach einer Abendmahlzeit der Erkenntnis, die ihm nie mehr zuteil wird! — denn die ganze Welt der Dinge hat diesem Hungrigen keinen Bissen mehr zu reichen. - (mo)

Don Juan (4)   Dieser plebejische Don Juan beobachtete mich von einer Mietkutsche aus und sandte mir in einem Doppelumschlag eine obszöne Photographie, wie sie nach Dunkelheit auf Pariser Boulevards verkauft werden, eine Beleidigung für jede Dame. Ich habe sie heute noch. Sie stellt eine teilweise nackte Señorita dar, zerbrechlich und liebreizend (seine Frau, wie er mir feierlich versicherte, von ihm selbst nach der Natur aufgenommen), die gerade unerlaubten Verkehr mit einem muskulösen Torero ausübt, einem ersichtlich gemeinen und rohen Menschen. Er bedrängte mich, desgleichen zu tun, mich ungebührlich zu benehmen und mit den Offizieren der Garnison zu sündigen. Er flehte mich an, seinen Brief in der unaussprechlichsten Weise zu beschmutzen, ihn zu züchtigen, wie er es reichlich verdiene, ihn zu besteigen und zu reiten und ihn auf die lasterhafteste Art auszupeitschen. - (joy)

Don Juan (5)

Don Juan (6)

Don Juan (7)  Tausend und dreimal hat man über Don Juan geschrieben. Aber ich wüßte nicht, daß man je darauf gekommen wäre, die möglichen Ursachen so vieler glücklicher Erfolge in eroticis zu erforschen (oder zu erfinden).

Man spricht nie vom Sachverständigen und Praktiker, der er ohne Zweifel war, in einem Beruf, der natürliche Gaben, gewiß, aber auch Intelligenz und Kunst erheischt — und letzten Endes — Arbeit.

Don Juan verführte nicht nur, er enttäuschte auch nicht; und (was etwas ganz anderes ist als zu verführen) er ließ die Frauen untröstlich zurück. Darauf kommt es an.  - (pval)

Don Juan (8)

Don Juan (9, doppelter)  Im Dunkeln fuhr sie mit ihren Lippen über seine Wange, sie nahm seine Hand, sie küßte die Knöchel, und er dachte plötzlich: warum eigentlich nicht? Heut nacht? Heut nacht.

Er genoß ihre Ungeduld, der Narr erlaubte sich, davon animiert zu werden, der Irre flüsterte, das freie, neue, apri-kosenfarbene Feuer der Erwartung verlängernd:

«Wenn du ein artiges Mädchen bist, werden wir um Mitternacht in meinem Salon etwas trinken.»

Der Hauptfilm hatte nun angefangen. Die drei führenden Rollen - der leichenhafte Don Jüan, der dickwanstige Leporello auf seinem Esel und die nicht allzu unwiderstehliche, offensichtlich vierzigjährige Donna Anna -wurden von gediegenen Stars gespielt, deren Ebenbilder in «Halb-Standphotos» oder, wie manche sagen, «Durchlichtungen» in einem kurzen Vorspann vorüberliefen. Wider Erwarten erwies sich der Film als recht gut.

Auf dem Weg zum fernen Schloß, wo die schwierige Dame, durch sein Schwert zur Witwe gemacht, ihm schließlich eine lange Liebesnacht in ihrer keuschen und kalten Kammer versprochen hat, hätschelt der alternde Lüstling seine Potenz, indem er die Anträge einer Folge von robusten Schönen zurückweist. Eine gitana prophezeite dem finsteren Ritter, daß er noch vor dem Eintreffen im Schloß den Lockungen ihrer Schwester Dolores, einer Tänzerin, erliegen werde.  - (ada)

Fabelmenschen Reulosigkeit

 

Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Synonyme