Doktrin  Der Vollständigkeit halber berichten wir über weitere Doktrinen, die verschiedentlich Glaubwürdigkeit genießen. Daß die Toten ganz dünn und lang seien: manche meinen, bis zu drei oder vier Kilometern; nach anderen Tausende von Meilen, weswegen sie bis weit über die Grenzen der irdischen Atmosphäre hinausragen. Falls die erstere Beschreibung zutrifft, wäre es vielleicht nicht unmöglich, sie als Antennen zu benutzen; falls die zweite exakt ist, kann man hoffen, sie in Kabel zu wickeln, die von fliegenden Raumschiffen abgeschossen werden.

Andere halten sie für kreisförmig; aber diese hängen an gewissen vorgefaßten philosophischen und mathematischen Lieblingsideen, die der korrekten Forschung wohl fremd bleiben müssen. Unter denen, die dem Kreis anhängen, vermuten einige die Toten als winzige und am Boden springende Bällchen, andere haben die Vorstellung von durchschnittlich Körperhaften und im Raum schwimmenden Kreisen.

 Wieder andere, diese Sterndeuter von Phantastereien, vermeinen, daß sie in den illuminierten Anfangsbuchstaben hausen; zusammengekauert in jenen schönen Labyrinthen; unter der Decke, bei verrammelten Türen, sobald einer am Buche fingert; aber wenn das Buch in seinem waagrechten Ruhefach liegt, irren sie herum und besuchen sich gegenseitig. Eine Doktrin, welche die Toten als ausgesprochen nicht kooperativ einschätzt, sondern davon ausgeht, daß sie in noblem und ein wenig ironischem Müßiggang leben.  - Giorgio Manganelli, Diskurs über die Schwierigkeit, mit den Toten zu sprechen. In: G. M., An künftige Götter. Sechs Geschichten. Berlin 1983 (zuerst 1972)

 

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