oktorenfabrik Wie das in anderen Städten ist, weiß ich nicht; aber in Palermo ist das Gewerbe, das Examensarbeiten, vor allem in den humanistischen Studienfächern produziert, eines der wenigen, die man als florierend bezeichnen kann. Die Philosophische und auch die Pädagogische Fakultät entlassen jedes Jahr Tausende von Akademikern, deren Abschlußarbeiten zu einem nicht genau bekannten, aber mit Sicherheit hohen Prozentsatz dem unermüdlichen Einsatz eines Dutzends von Leuten zu verdanken sind, die die Fähigkeit besitzen, wie Bienen von Blüte zu Blüte, so von der Transkription mittelalterlicher Dokumente zur Lyrik Montales, von Properz zu Wittgenstein, von Lactanz zum modernen Brigantentum zu fliegen.
Diese Leute bedienen sich ohne Zweifel schlecht bezahlter Hilfskräfte zum Nachschlagen und Katalogisieren; denn es ist kaum möglich, daß sie allein eine so massenhafte und immer noch in schwindelerregendem Anstieg begriffene Nachfrage befriedigen können. Der Preis für eine Dissertation ist nicht gerade unbezahlbar, aber doch recht gepfeffert. Vor einigen Jahren, als ich einen Gewerbetreibenden dieser Branche kennenlernte, lag er zwischen zweihunderttausend (zeitgenössische Literatur) und achthunderttausend (Transkription eines mittelalterlichen Notariatsregisters). Er wird, denke ich, inzwischen ebenso gestiegen sein wie die Lebenskosten.
Voriges Jahr erzählte bei mir zu Hause jemand unvorsichtigerweise einem deutschen
Universitätsprofessor vom Florieren dieses Gewerbes in den Randbezirken
der italienischen Universitäten. Ich sah, wie der Professor sich krümmte und
bis über beide Ohren rot anlief, und fürchtete schon, ihn würde gleich der Schlag
treffen. Als er die Sprache wiederfand, sagte er, er könne einfach nicht glauben,
daß seine italienischen Kollegen nicht in der Lage seien zu beurteilen, ob eine
Dissertation vom Doktoranden selbst geschrieben worden sei oder nicht. -
(scia)
Doktorenfabrik (2) In neuen schwarzen Beinkleidern tritt ein junger Arzt ein, der natürlich ein weißes Halstuch und eine goldene Brille trägt. Er stellt sich vor. Ich bitte ihn, sich zu setzen, und frage, was ihm gefällig ist. Nicht ohne Erregung beginnt mir der jugendliche Priester der Wissenschaft zu erzählen, daß er in diesem Jahr das Examen bestanden habe und Kandidat geworden sei und daß er jetzt nur noch seine Dissertation abfassen müsse. Und nun wünsche er unter meiner Aufsicht bei mir zu arbeiten, und ich würde ihn zu größtem Dank verpflichten, wenn ich ihm das Thema für seine Dissertation geben wollte.
»Sehr erfreut, mich Ihnen gefällig erweisen zu können, Collega«, versetze ich, »doch lassen Sie uns zunächst eine Einigung darüber erzielen, was eigentlich eine Dissertation ist. Es ist hergebracht, mit diesem Wort ein Werk zu bezeichnen, das das Produkt selbständigen Schaffens ist. Nicht wahr? Ein Werk jedoch, das über ein fremdes Thema unter fremder Aufsicht geschrieben worden ist, pflegt man anders zu nennen ...«
Der Kandidat schweigt. Ich werde hitzig und springe auf.
»Ich kann nicht begreifen, warum, eigentlich alle immer wieder zu mir kommen!« rufe ich böse. »Ist dies etwa ein Kramladen, wie? Ich treibe keinen Handel mit Themen! Zum tausendundersten Male bitte ich Sie alle, mich in Ruhe lassen zu wollen! Entschuldigen Sie die Unfreundlichkeit des Ausdrucks, aber mir ist das alles schließlich ekelhaft geworden!«
Der Kandidat schweigt, und nur um. seine Backenknochen herum zeigt sich eine leichte Rote. Seine Miene drückt tiefen Respekt vor meinem berühmten Namen und meiner Gelehrsamkeit aus, und nur am Ausdruck seiner Augen kann ich bemerken, daß er mich, meine Stimmung, meine jämmerliche Figur und meine nervösen Bewegungen verachtet. In meinem Zorn komme ich ihm wie ein wunderlicher Kauz vor.
»Dies ist kein Handelsladen!« Ich zürne weiter. »Und ich muß mich geradezu wundern! Warum wollen Sie nicht selbständig bleiben? Warum machen Sie sich so wenig aus der Freiheit?«
Ich spreche viel, er schweigt dazu. Und schließlich und endlich werde ich
immer ruhiger und gebe nach. Der Kandidat erhält
von mir ein Thema, das keinen Pfennig Wert hat, und wird unter meiner Aufsicht
eine Dissertation verfassen, an der niemandem etwas
liegt, und wird sie dann würdig verteidigen und zum Schluß den Gelehrtengrad
erhalten, den er weder verdient noch braucht. -
Anton Tschechow, Eine langweilige Geschichte.
Nach (tsch)
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