ohle  Er saß an seinem Pult und schrieb. Ein schwarzer Vogel flatterte gegen das Fenster, krächzte und verschwand. Eugen sprang auf und rief: »Die Dohle vom Herrn Schaaf! Sie will zu mir!« Er rannte auf die Gasse. Die Dohle flog jetzt drüben bei jener Frau Reisig, wo der Seminarist Blatter einlogiert war. Eugen rannte, der Vogel schwankte ungelenk und krächzend, als ob er fortgewirbelt würde, obwohl an diesem stillstehenden, regenkühlen Tag mit trocknenden Trottoirs und Pfützen kein Wind ging. Der Bub lief heulend weiter, und viele lachten über ihn. Bei Metzger Schlör stieß er mit einer Frau zusammen, die üppig und bunt gekleidet war. Kinder rannten hinter Eugen her und johlten. Auch Frau Krumm lächelte und ging am Furchheimerschen Kleiderladen zur Hauptstraße hinüber, weil sie dachte, Eugen werde ihr dort in die Arme laufen; denn es war schlimm, wie aufgeregt er war, als müsse er sich an die Dohle hängen, um den Lehrer Wurster zu vergessen. Denn so reimte sie es sich zusammen, und es war für sie ein Zeichen, daß dem Buben alles scheußlich vorkam, was er allein auszuhalten hatte.

Er hoffte also auf die Dohle. Die sollte ihn mitnehmen und forttragen. Nein, er wollte sie nur bei sich haben; sich neben ihrem Käfig auf den Boden legen, sie anschauen; sie herauslassen und ihre kühlen Krallen auf dem Zeigefinger spüren... Aber einen Vogel im Haus haben, wenn schon eine Katze da war, das ging natürlich nicht. Die Katze warf zwei Junge, das eine schwarz, das andere getigert; und sie ließ das getigerte an ihre Zitzen, damit das andere verendete. Ob es damit zusammenhing, daß der Kater des Metzgersbecken schwarz gewesen war? Und der Polizeidiener Schmetzer nahm, als dieses Junge größer war, die getigerte Katze mit, weil er soviele Ratten hatte und diese Katze richtig wild war, wie es sich gehörte. - Hermann Lenz, Verlassene Zimmer. Frankfurt am Main 1979

Krähe
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