octor  Der Narren-Spitalmeister wollte uns den berufenen Doctor ohne Bart zeigen, dessen Person wir alle zu sehen so sehr gewunschen.

Sobald er vor dessen Gitter den Vorladen aufgeschlossen, guckte er wie eine Spitzmaus hervor und «Ihr Herren», fing er an, «Ihr seid eben diejenigen, so contra legem Juliam gesündiget haben. Ihr habt Euch in re forensi verstoßen, denn Ihr habt mir meine Tauben vom Markte hinweggefangen. Ins Carcer mit Euch, Ihr Windmüller. Ach, was bin ich für ein großer Narre, daß ich bin Doctor geworden! Ich war vor diesem eine vornehme Jungfer in Siebenbürgen. Da beschlief mich erstlich die Hoffahrt, darnach der Stolz, zum dritten der Ehrgeiz. Diese drei Galgenvögel machten einen Doctor aus mir, und derselbe Doctor machte mich zum Narren. Zwar Aulus Gellius ist noch gut genug. Ich wollte, daß ich meine Harfe bei Händen hätte, ich wollte ihm ein Epitaphium aufspielen. Sum Doctor, licet non barbatus, sat tamen doctus, os loquitur non barba, ergo sufficit me habere os. Mein Bart ist ein ens in potentia, und ihr seid Bärenhäuter in Duodez. Ich will das ganze Römische Reich in einen andern Model gießen. Anitzo lasse ich einen Backofen bauen, daran arbeiten zweiundfünfzig Philosophi in genere. In demselben Backofen da will ich ernstlich die juris consultos backen, hernach will ich die Theologos lutheranae religionis, darnach die Jesuiten und alle Diphthonges hineinschieben. Die will ich ausbacken als der beste Bäcker in rerum natura vermag. Alsdann will ich auch die Calender anders backen, und die Fundamenta will ich anders drechseln lassen, da werdet Ihr felicissimam Respublicam sehen, als noch niemalen bei den Römern gestanden. Alsdann wird Julius Caesar wieder vom Grab aufstehen, und alle Potentaten werden viel Geld drum geben, wenn ich ihnen nur den geringsten Ratschlag oder sonsten ein arcanum politicum communizieren werde. Aber da werde ich meinen Kram teuer halten und nichts ohne sonderlichen Profit verhandeln. Damit man mich aber vor großer Begierde, die wegen meiner Prudenz unter dem Volke sein wird, nicht zerreiße, so will ich mich heimlich in einen Waldmann oder Kräuterhändler verkleiden und will mit der grünen Krauter- und Waldsalbe in dem Land auf den Märkten herumziehen. ‹Seht Ihr, liebe Herren›, will ich sagen, ‹ich bin der bekannte Kräutermann, der belobte Wurzelmann und der berühmte Waldmann. Meinen Vater, wie Ihr wohl wisset, hat man nur den berühmten Wurzelarzt geheißen. Er ist's auch gewesen, und ich bin ihm in der Kunst nachgefolget. Habt Ihr Zähnwehtage, plagt Euch die Mundfäule oder der giftige Scharbock, seht Ihr, meine lieben Herren, braucht eine Haselnuß groß von meiner approbierten Kräutersalbe, es hemmet die Schmerzen, stillet die Wehtage und benimmet das Reißen im Kopfe. Ihr werdet sagen, glückselig sei der Tag, glückselig sei die Stund, da ich diesen wohl geexaminierten und wohl approbierten Kräutermann, den berufenen Waldmann angetroffen. Seht Ihr, meine lieben Herren, ich bin kein Possenreißer noch Leutbescheißer, meine herrlichen Testimoni weisen's aus, wer ich bin und wo ich meine heilsame Arznei gebraucht habe. Habt Ihr Schmerzen in der Leber, sticht es Euch in der Lunge oder drückt Euch die Milz? Seht Ihr, meine lieben Herren, ein Tropfen oder zwei von meiner Spirituoser-Essenz in einen warmen Löffel voll Wein gegossen, habt Ihr keinen Wein, so nehmet warmes Bier, es hilft von Stund an, die Schmerzen nehmen ab, das Stechen leget sich, die Milz gibt sich zufrieden, wie denn der beigelegte Zettel ein mehrers ausweisen wird. Ich grabe die Wurzel und Medicament mit eigener Hand aus der Erden, kaufe sie nicht wie andere Leutbetrüger, seht Ihr, meine Herren, aus den Apotheken, sondern ich bringe sie mit Leib und Lebens Gefahr aus dem Schweizer Gebürg, allwo sich des Jahrs wohl hundert Menschen versteigen und von den wilden Tieren, seht Ihr, meine Herren, zerrissen werden. Mit solcher Gefahr bringe ich die Wurzel dem gemeinen Mann zum besten allhier. Habt Ihr das Augentriefen, nehmt einen Tropfen oder zwei von meinem Augenwasser, streicht es mit einem subtilen Federlein wohl hinein, haltet darauf das Äug mit der rechten, und mit der linken Hand haltet den Arsch zu, so fällt Euch nichts ins Äug und entgehet Euch kein Furz. Seht Ihr, liebe Herren, so muß man sich in acht nehmen, wer in der Welt fortkommen will. Kaufet in der Zeit, so habt Ihr in der Not. Das Jahr ist lang, der Tage sind viel, der Stunden sind noch mehr, was heute nicht geschieht, das kann morgen geschehen. Ich bin kein Landfahrer, der etwa mit Agspat, Inslicht und Wachs zusammenschmelzet oder grüne Butter für Wundsalbe verkaufet, nein. Ihr Herren, ein solcher bin ich nicht, hab es auch nicht begehret zu sein. Ich hab in der Stadt Augsburg (damit zog er den Hut ab) wohl für achtzig Taler Ware verkaufet. Wäre sie nicht gut gewesen, ich hätte sie noch. Möcht aber ein oder der andere fragen: ‹Mein lieber Waldmann, mein geehrter Wurzelmann, du sagst mir wohl viel von deiner Arzenei, wie gibst du sie denn? Wie hoch hältstu sie?› Seht Ihr, meine lieben Bürger und Bauren, denen gebe ich zur Antwort: ‹Erstlich soll der geneigte Liebhaber haben ein Büchslein von meinem köstlichen Medritat. Zum andern ein Schächtlein von meiner approbierten Kraut- und Wundsalbe, vors dritte ein Gläslein meines spirituösen Augenwässerleins, vors vierte ein Stück von der approbierten Gämswurzel, und zum fünften verehre ich auch allen Liebhabern als zum Überfluß ein Zedern meines stattlichen Zahnpulvers. Wie jedes zu gebrauchen sei, das habt Ihr in dem gedruckten Zettel zu lesen, könnt Ihr nicht lesen, so lasset Euch's andere vorlesen. Alle diese erzählten Stücke, seht Ihr, meine lieben Herren, gebe ich zusammen und habe sie den Liebhabern hohen und niedrigen Standes verkaufet und verehret für einen Groschen, für einen Groschen, seht Ihr, meine lieben Herren, es ist ein Lumpengeld, ein Branntweingeld. Mancher spielet und verlieret in einer halben Stunde wohl zwölf Taler und hat nichts davon als Krauen in dem Nacken und großes Herzeleid, versäumt darüber meine kostbaren Medicamenten. Seht Ihr, liebe Herren, Ihr bezahlt mir kaum das Papier, geschweige die kostbare Arzenei, und ich verehre sie Euch nur darum, daß ich desto besser unter Euch, Ihr meine Herren, bekannt und kundig werde. Darum versehe sich ein jeder in Zeiten, wenn ich wieder hinweg bin, so ist's zu spat, und so Ihr hernach tausend Taler für ein Büchslein Medritat geben wollet, so ist's umsonst und vergebens. Darum, Ihr meine Herren, wer Belieben trägt, der werfe sein Servet herauf, alle diese Stück sind ihm von mir als approbiertem Kräutermann zum Neuen Jahre geschenket und verehret.»

«Ja», sagte der Doctor ohne Bart ferner, «alsdann will ich Gift in die Salbe legen und unter die Türken reisen, da müssen sie davon sterben wie die Sperlinge, welche man mit Blasröhren von den Dächern schießet. Sodann will ich lauter Doctores in die Türkei setzen, die müssen mir die Digesta in die wallachische Sprache übersetzen. Die Venetianer will ich durch meine Juristerey wieder in die Insel Candient einsetzen, und wenn ich sage, der Baum steht nicht recht oder dieses Haus ist nicht wohl gebaut, so wird es einfallen und zerreißen. Allen meinen besten Freunden will ich vorn fuchsschwänzen  und ihnen das Allerschlimmste auf den Rücken nachreden, denn ich weiß mich sonst nicht groß zu machen noch in Ansehen zu bringen. Darnach will ich alle Badergesellen, die auf der Harfe spielen können, befreien, daß man sie nicht mehr Arschkratzer nennen solle. Ein solcher Kerl wilr ich sein, und wenn ich einen Bart kriege, will ich ihn nicht jedermann sehen lassen, sondern solchen gleich einem schweizerischen Schlachtschwert in der Scheide tragen. Wer nicht auf meiner Seite stehet, dem will ich sub poena praeclusi alle Güter confiscieren lassen, und im Güldenen Lamm will ich mich so voll saufen, daß man den Rausch den folgenden Morgen aus den Hosen waschen muß. Saprament, wird einer ein Buch wider mich ausgehen lassen,  so will ich ihm ein Loch in Hintern beißen wie die Bresche, so Anno 1663 zu Neuhäusel geschossen worden.»   - Johann Beer, Das Narrenspital. Reinbek bei Hamburg 1957 (RK 9, zuerst 1681)

Gelehrter Akademiker
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