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Florian
Rötzer, telepolis
vom 27. Mai 2007
Diplomatie (2) Das Wort Annektion wird
nicht ausgesprochen. Was Äthiopien angeht, so sind wir anfangs fürchterlich
gewesen, und wir haben uns nicht gescheut, gegen die Haltung Italiens zu protestieren.
Nachdem wir aber so unser Festhalten an dem Gerechtigkeitsideal unter Beweis
gestellt hatten, mußten wir natürlich der Wirklichkeit ins Auge schauen. Denn
was auch immer die Revolverjournalisten, denen nichts einfällt, sagen mögen,
wir sind keine Utopisten. Wir sind also glücklich gewesen, daß wir es den Mitgliedsstaaten
freistellen konnten, diese Eroberung anzuerkennen oder nicht. Eine hübsche Taktik,
was meinen Sie? In der Tat sind die Konventionen damit gewahrt. Erstens bleibt
der Völkerbund seinem Ideal treu, da er, zumindest im Augenblick, die Eroberung
Äthiopiens nicht anerkennt. Zweitens, die Mitgliedsstaaten entziehen sich nicht
ihrer Pflicht gegenüber dem Völkerbund, da dieser sie ermächtigt, die Eroberung
Äthiopiens anzuerkennen, wenn sie es wünschen. Wir sind, wie Sie sehen, sehr
bedacht auf die Gedankenfreiheit und die Souveränität der noch nicht besiegten
Mitgliedsstaaten des Völkerbunds. Möge jeder der Staaten tun, was ihm gefällt.
Wir waschen unsere Hände in Unschuld. Im Grunde besteht unsere Rolle darin,
vorsichtige Wünsche zu äußern, geschickte Resolutionen zu verabschieden, die
niemanden vor den Kopf stoßen. Unsere Aufgabe läßt sich folgendermaßen zusammenfassen:
harmlos sein! Wir erfüllen unsere Aufgabe mit ständig wachsender Kraft. (Vertraulich:)
Übrigens ist dieser Negus höchst unsympathisch. Es hat den Anschein, daß er
überhaupt nicht krank ist, daß es eine reine Komödie ist. Ferner habe ich mir
sagen lassen, daß er den Teufel am Schwanz zieht. Natürlich ist das alles sehr
traurig. Aber was soll man tun? Äthiopien hätte ja Giftgas einsetzen können,
und schließlich ist es nicht unsere Schuld, wenn es eine erbärmliche Armee hatte,
jawohl, erbarmlich! - (
eisen
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