Ding, armes   Als wir ihr begegnen, gibt La Delaney ein eindrucksvolles Bild ab. Denn zum einen ist sie, bis auf ein Paar Seidenstrümpfe und einen Zweidollar-Hut, splitternackt. Zum andern wurde ihr der Schädel mit einer ungewöhnlichen aber wirkungsvollen Waffe gespalten. Irgend jemand schlug mit der Marmorplatte eines Nachttisches auf unsere Heldin ein.

Ein Zimmernachbar gibt an, um vier Uhr morgens habe La Delaney viel Lärm gemacht. Aber als die Polizei eintrifft, kurz nach dem Frühstück, gibt es nichts Stilleres auf der Welt als Mary Delaney.

Die Polizei macht sich an die Arbeit und findet heraus, daß unsere Heldin um drei Uhr morgens am Arm eines heruntergekommen aussehenden Beaus ins Hotel gekommen war und sich mit ihrem Begleiter als Mr. und Mrs. F. Booker für Zimmer 2.9 eingetragen hatte. Aber die Polizei läßt sich durch diese Schriftschnörkel nicht narren. Sie erkennt die Nackte auf dem Bett - unter jedem Namen. Es ist Mary Delaney, die vor einer Woche aus dem Gefängnis kam, wo sie wegen Drogenmißbrauchs gesessen hatte. Wie sollte sie sie auch nicht kennen - die Bowery-Mary, die sie so ungefähr jedes Jahr einmal wegen unerlaubter Straßenprostitution einlochte. Eine Schluckerin, Stricherin, ein Morphinvögelchen und ein großes Ärgernis sagen die Polizisten — armes Ding, fügen sie hinzu, jetzt hat sie ihr Fett.

Nur zwei respektable und weit entfernt wohnende Brüder kommen zu La Delaneys Begräbnis. Sie bringen sie unter die Erde, und nachdem sie mehrere Seufzer ausgestoßen haben, kehren sie zu ihrer Respektabilität zurück. Viele Fehltritte werden mit Bowery-Mary begraben, aber auch vieles andere verschwindet unter den Schaufeln.  - Ben Hecht, 1001 Nachmittage in New York. Frankfurt am Main 1992 (it 1323, mit Zeichnungen von George Grosz, zuerst 1941)

 

Ding

 

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