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Wenn du, wie ich, Kellner sein willst, so finde ich dir eine Stelle.
Es ist kein schwerer Beruf. Es genügt, daß du liebenswürdig mit den Kunden bist.
Bist du in der Küche, kannst du in die Schüssel spucken, aber die Schüssel muß
mit einem eilfertigen Lächeln und einer elastischen Verbeugung serviert werden.
Jeder Arbeiter hat das Bedürfnis, sich selbst ab und zu zu beweisen, daß er
kein Knecht ist, oder wenigstens, daß er in irgendeiner Weise der bedienten
Person überlegen ist. Der letzte selbständige Angestellte in einem Amt, der
von einer endlosen Reihe von Oberbeamten überwacht wird, macht sich dem ersten
Unterbeamten gegenüber Luft; der armseligste der Gerichtsboten mißhandelt den
Laufburschen, um nicht das Gefühl zu haben, unter den Niedrigen der Niedrigste
zu sein. Der Laufbursche beschimpft das Publikum. Der größte Lump unter den
Menschen mißhandelt das Kind, das ihm in den Weg kommt; das Kind mißhandelt
den Hund. Das ganze Leben ist eine Stufenleiter von Gemeinheiten. Wir müssen
immer denken, daß jemand noch tiefer steht als wir, schwächer ist als wir. Der
Kellner spuckt in die Schüssel des Gastes und täuscht sich dabei vor, daß er
jemanden
erniedrigt, der ihn erniedrigt, weil er ihn duzt und ihm ein Trinkgeld gibt.
Vielleicht widerstrebt dir, der du noch vollgesogen bist von Vorurteilen, der
Gedanke zu dienen, aber wir dienen alle; selbst der Präsident des Reichsgerichts
dient; auch die große Kurtisane, die fünftausend Franken einnimmt dafür, daß
sie sich das Hemd aufbinden läßt, dient; es dient auch der Börsenmann, der mit
einem Telefongespräch eine halbe Million in die Tasche steckt. Auch der Künstler,
der Arzt, der Erzbischof,
sie alle dienen... - Pitigrilli, Kokain. Reinbek bei Hamburg 1988 (rororo
12225, zuerst 1922)
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