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Diebstahl (2) Durchstreifen wir das Altertum, so
werden wir gewahr, daß der Diebstahl in allen Republiken Griechenlands
erlaubt war und belohnt wurde; Sparta begünstigte ihn öffentlich; einige
andere Völker haben ihn als kriegerische Tugend angesehen; es steht fest,
er erhält den Mut, die Kraft,
die Geschicklichkeit, kurz alle die Tugenden, die einer republikanischen
Regierung und folglich der unseren von Vorteil sind. Ich wage zu fragen,
ohne Parteilichkeit jetzt, ob der Diebstahl, der eine Angleichung der Reichtümer
bewirkt, in einer Regierung, deren Ziel die Gleichheit ist, ein großes
Übel ist. Nein, zweifellos nicht; denn so wie er einerseits die Gleichheit
aufrechterhält, regt er andererseits dazu an, sein Eigentum besser zu hüten.
Es gab ein Volk, das nicht den Dieb bestrafte, sondern den, der sich bestehlen
ließ, um ihn zu lehren, seine Besitztümer zu hüten. - Marquis de
Sade, Die Philosophie im Boudoir. Gifkendorf 1989 (zuerst ca. 1790)
Diebstahl (3) Verzaubert stand ich und nahm mit lauschend zögernder Brust die liebliche Atmosphäre des Ortes auf, in welcher die Düfte der Schokolade und des Rauchfleisches sich mit der köstlich moderigen Ausdünstung der Trüffeln vereinigten. Märchenhafte Vorstellungen, die Erinnerung an das Schlaraffenland, an gewisse unterirdische Schatzkammern, in denen Sonntagskinder sich ungescheut die Taschen und Stiefel mit Edelsteinen gefüllt hatten, umfingen meinen Sinn. Ja, das war ein Märchen oder ein Traum! Ich sah die schwerfällige Ordnung und Gesetzlichkeit des Alltags aufgehoben, die Hindernisse und Umständlichkeiten, die im gemeinen Leben sich der Begierde entgegenstellen, auf schwebende und glückselige Weise beiseite geräumt. Die Lust, diesen strotzenden Erdenwinkel so ganz meiner einsamen Gegenwart untergeben zu sehen, ergriff mich plötzlich so stark, daß ich sie wie ein Jucken und Reißen in allen meinen Gliedern empfand. Ich mußte mir Gewalt antun, um vor heftiger Freude über so viel Neuheit und Freiheit nicht aufzujauchzen. Ich sagte »Guten Tag!« ins Leere hinein, und noch höre ich, wie der gepreßte und unnatürlich gefaßte Klang meiner Stimme sich in der Stille verlor. Niemand antwortete. Und in demselben Augenblick lief mir buchstäblich das Wasser stromweise im Munde zusammen. Mit einem raschen und lautlosen Schritt war ich an einem der mit Süßigkeiten beladenen Seitentische, tat einen herrlichen Griff in die nächste mit Pralines angefüllte Kristallschale, ließ den Inhalt meiner Faust in die Paletottasche gleiten, erreichte die Tür und war in der nächsten Sekunde um die Straßenecke gebogen.
Ohne Zweifel wird man mir entgegenhalten, daß, was ich da ausgeführt,
gemeiner Diebstahl gewesen sei. Demgegenüber verstumme ich und ziehe mich
zurück; denn selbstverständlich kann und werde ich niemanden hindern, dieses
armselige Wort zur Anwendung zu bringen, wenn es ihn befriedigt. Aber ein
anderes ist das Wort - das wohlfeile, abgenutzte und ungefähr über das
Leben hinpfuschende Wort - und ein anderes die lebendige, ursprüngliche,
ewig junge, ewig von Neuheit, Erstmaligkeit und Unvergleichlichkeit glänzende
Tat. Nur Gewohnheit und Trägheit bereden uns, beide für ein und dasselbe
zu halten, während vielmehr das Wort, insofern
es Taten bezeichnen soll, einer Fliegenklatsche gleicht, die niemals trifft.
Überdies ist, wo immer es sich um eine Tat handelt, in erster Linie weder
an dem Was noch an dem Wie gelegen (obgleich dies letztere wichtiger ist),
sondern einzig und allein an dem Wer. Was ich je getan habe, war in hervorragendem
Maße meine Tat, nicht die von Krethi und Plethi, und obgleich ich es mir,
namentlich auch von der bürgerlichen Gerichtsbarkeit, habe gefallen lassen
müssen, daß man denselben Namen daran heftete wie an zehntausend andere,
so habe ich mich doch in dem geheimnisvollen, aber unerschütterlichen Gefühl,
ein Gunstkind der schaffenden Macht und geradezu von bevorzugtem Fleisch
und Blut zu sein, innerlich stets gegen eine so unnatürliche Gleichstellung
aufgelehnt. - Thomas
Mann
,
Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull. Frankfurt am Main 1965 (Fischer-Tb.
639, zuerst 1954)
Diebstahl (4) Prometheus wandte sich an Athene und
bat sie um Einlaß zum Olymp durch eine rückwärtige Türe. Sie erfüllte seinen
Wunsch. Am feurigen Wagen der Sonne entzündete er eine Fackel, brach ein
Stück glühender Holzkohle ab und warf es in die Markhöhle des Stengels
eines Riesenfenchels, löschte seine Fackel und stahl sich unentdeckt fort.
So wurde der Menschheit das Feuer geschenkt. - (
myth)
Diebstahl (5) Es ist
konterrevolutionär, wenn Schwarze über andere Schwarze oder
über arme Weiße herfallen. Ich sehe durchaus ein, daß
für das schwarze Amerika Verbrechen eine Notwendigkeit
ist. Ich verstehe, daß Schwarze, um zu überleben, stehlen
müssen. Aber ich heiße das nicht gut. Ich schätze,
daß die Fähigkeiten, die es braucht, um ein erfolgreicher
Krimineller zu sein, für konstruktivere Zwecke genutzt
werden könnten. Wenn ein Zuhälter genug drauf hat, um neun
Frauen unter Kontrolle zu halten, hat er garantiert nichts in diesem
Geschäft verloren. Also, wenn du schwarz bist und gezwungen
bist, kriminell zu werden, dann bestiehl nicht mich. Geh rüber
und stiehl von den weißen Reichen. - Iceberg Slim, nach: I.S.: Todesfluch.
Reinbek bei Hamburg 1997 (zuerst 1977)
Diebstahl (6) Perry lachte: «Sie ist eine tolle Köchin, Mrs. Meier. Du solltest mal ihren Spanischen Reis essen. Ich habe fünfzehn Pfund zugenommen, seit ich hier in der Zelle bin. Allerdings hatte ich auch kaum noch was auf den Knochen. Hatte verdammt abgenommen, als Dick und ich wie die Irren durch die Gegend gurkten - haben kaum jemals richtig gegessen, die meiste Zeit Kohldampf geschoben. Wir haben größtenteils gelebt wie die Tiere. Dick klaute immer Konserven beim Krämer. Bohnen und Spaghetti. Die machten wir im Wagen auf und fraßen das Zeug kalt. Wie die Tiere. Dick stiehlt mit Wonne. Es sitzt ihm in den Knochen - wie eine Sucht. Ich habe auch immer mal gestohlen, aber doch nur, wenn ich kein Geld hatte. Dick klaut noch ein Päckchen Kaugummi, wenn er hundert Dollar in der Tasche hat.»
Später, bei Kaffee und Zigaretten, kam Perry noch einmal auf das Thema Stehlen zurück. «Mein Freund Willie-Jay hat oft darüber gesprochen. Er sagte immer, alle Verbrechen wären nur verschiedene Formen von Diebstahl, Mord eingeschlossen. Wenn man jemand umbringt, dann stiehlt man ihm das Leben. Und danach bin ich vermutlich ein ziemlich schlimmer Dieb. Denn siehst du, Don - ich habe sie tatsächlich umgebracht. Der alte Dewey hat das da vor dem Gericht so hingestellt, als wäre es eine Verdrehung der Tatsachen - wegen Dicks Mutter. Das stimmt aber nicht. Dick hat mir geholfen. Er hielt die Taschenlampe und las die Hülsen auf. Und natürlich war das Ganze sein Plan. Aber Dick hat sie nicht erschossen, er hätte das gar nicht fertiggebracht - wenn er auch verdammt fix bei der Hand ist, wenn es darum geht, einen alten Hund totzufahren. Ich weiß selbst nicht, warum ich es gemacht habe.» Er sah düster vor sich hin, als wäre das ein völlig neues, unbegreifliches Problem für ihn, wie ein neuerdings aufgefundener Stein von überraschender, bislang nicht registrierter Farbe. «Ich weiß es wirklich nicht», sagte er, als hielte er den Stein gegen das Licht und drehte ihn einmal hierhin, einmal dorthin. «Ich hatte eine Wut auf Dick. Weil er immer den harten Mann markierte. Aber es war nicht wegen Dick. Auch nicht aus Angst, daß sie als Zeugen auftreten könnten. Das hätte ich schon riskiert. Und es hatte mit den Clutters eigentlich überhaupt nichts zu tun. Sie haben mir nie was zuleide getan. Wie die andern. All die andern, die mich mein Leben lang getriezt haben. Und vielleicht waren es eben die Clutters, die dafür büßen mußten.»
Cullivan drang in ihn, er suchte herauszubekommen, ob er bereue, und wie
tief diese vermeintliche Reue sei. Sicher hatte er doch schwere Gewissensbisse,
die den Wunsch in ihm erweckten, daß Gott sich seiner erbarme und ihm vergebe?
Perry sagte: «Ob es mir leid tut? Wenn du das damit meinst - nein, nicht ein
bißchen. Ich mache mir überhaupt keine Gedanken darüber. Mir wäre vielleicht-wohler,
wenn ich das doch täte. Aber ich hab das Ganze schon fast vergessen. Eine halbe
Stunde danach machte Dick schon seine dreckigen Witze, und ich lachte darüber.
Vielleicht sind wir beide überhaupt keine Menschen. Immerhin bin ich Mensch
genug, um mir selbst leid zu tun.» -
(cap)
Diebstahl (7) Der Mensch hatte in seinem Urzustand
eine einzige Eigenschaft, die ihn von seinen Kameraden unterscheiden konnte:
die Kraft. Die Natur gab allen
Menschen gleichmäßig bewohnbaren Boden, und nur durch die Ungleichheit
der Kraft entstand die Ungleichheit der Verteilung. Das ist der erste Diebstahl,
der von der Natur begünstigt und gestattet ist. Nun rächte sich aber der Schwächere
durch Anwendung von List, und da sehen wir den Betrug
als Schwester des Diebstahls und gleicherweise als Tochter der Natur. Wenn der
Diebstahl die Natur beleidigen würde, hätte sie an Stärke und Charakter gleiche
Menschen geschaffen. Als Gesetze entstanden und der Schwache einen Teil seiner
Freiheit aufopferte, um sich vor den anderen zu schützen, war sicher das erste,
was er verlangte, der ruhige Genuß des Besitzes. Man bestimmte bloß, daß jeder
sein Vermögen in Frieden besitzen solle, und daß derjenige bestraft werde, der
den Frieden stören wollte. Das war jedoch Menschenwerk, in dem nichts von dem
Willen der Natur zu spüren ist. Von nun ab waren die Menschen in zwei Klassen
geteilt. Die erste opferte ein Viertel des Besitzes, um den Rest in Frieden
genießen zu können) die zweite, die aus diesem Viertel Nutzen zog und sah, daß
sie auch bei ernstem Wollen den Rest sich aneignen könnte, wachte darüber, daß
die Schwachen sieh nicht untereinander beraubten, damit das Recht des Raubes
ihr allein verbliebe. So wurde der Diebstahl, der ein Naturgesetz ist, doch
wieder nicht von der Erde vertrieben, sondern blieb, — allerdings in einer anderen
Form, — bestehen: Man stahl gesetzlich. Die Richter,
indem sie sich für ihre Tätigkeit, die sie freiwillig hätten ausüben sollen,
bezahlen ließen, die Priester, indem sie sich für
den Mittelsdienst zwischen dem Menschen und seinem Gott bezahlen ließen, der
Kaufmann, indem er den Preis dessen, was seine Ware
wert war, um ein Viertel erhöhte, und die Herrscher,
indem sie ihren Völkern Steuern, Taxen u. s. f. auferlegten. Alle diese Diebstähle
geschehen unter dem Deckmantel der Gesetzlichkeit, und man bestraft nur noch
das einfachste natürliche Verfahren, das derjenige anwendet, der, wenn es ihm
an Geld mangelt, mit der Pistole in der Hand dem Reichen seine Forderung vorbringt.
Und man vergißt ganz, daß dieses scheinbare Verbrechen nur eine Folge des ersten
Diebstahles ist, da nur durch ihn Reiche und Arme entstanden.
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(just)