ichterwitwe   In Moskau besuchte ich Nadeschda Mandelstam. Sie lag auf dem Bett, eine Zigarette in den Mundwinkel geklebt, und stieß zwischen schwärzlichen Zähnen einen Triumphgesang hervor. Ihre Arbeit war vollendet. Sie hatte ihr Buch veröffentlicht, zwar im Ausland, aber ihre Worte würden eines Tages in die Heimat zurückkehren. Sie besah sich die Thriller, die ihr mitzubringen mir aufgetragen worden war, und sagte höhnisch: »Romans policiers! Das nächstemal bringen Sie mir richtigen Schund mit!« Aber als sie die Töpfe mit Orangenmarmelade sah, öffnete sich ihr Mund zu einem Lächeln: »Marmelade, mein Lieber, das ist meine Kindheit!«   - Bruce Chatwin, Der Traum des Ruhelosen. Frankfurt am Main 1998 (Fischer-Tb. 13729, zuerst 1996)

Dichterwitwe (2)   Ich habe alle Werke von Mendel Ossipowitsch abgetippt oder mit der Hand abgeschrieben, ich, mein Herr, leistete Hebammenarbeit bei allen seinen literarischen Bemühungen (siehe, zum Beispiel, das Gedicht: »Sie sage: Amen«, Band III, Seite 94). Ich lebte jahrelang mit einem stets gepackten Koffer, um auf seinen Ruf hin sofort abfahren zu können. Ich verbrachte »ruhmreiche Nächte in tierischem Fieber« in verwanzten Provinzhotels oder gemieteten Zimmern. Ich erinnere mich - falls ich das Recht habe, mich zu erinnern - der Aufregung, als wir in einem Hotel in Baku zum ersten Mal unsere Sachen vermischten: unsere Kleider hingen in den Schränken in einer seltsamen, lasziven Intimität. (Ich will mich bei dieser Gelegenheit eines Kommentars zu der Erläuterung enthalten, die Frau Nina Roth-Swanson zum Gedicht »Vermischte Häute« anbietet - sie überschreitet jedenfalls die Grenzen des guten Geschmacks und des gesunden Menschenverstandes.)   - (kis)
 
 

Dichtertod Witwe

 

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