ichterbeschimpfung
Konjunkturgemäß, dem Bourgeoisproletarier zuliebe, und in weiser Voraussicht
seines Kommens hatten sich einige der Geriebensten unter die Kategorie der Kopfarbeiter
begeben – sie vollführten nun mit dem Verlangen nach Disziplin, Ruhe, Ordnung,
ein vornehmliches Gesäusel am Bauche des Gottes Mammon. Die Dichter, diese Idealisten
mit gangbarem Marktwert, sie haben die Weisheit des einfachen Menschen zerstört
– sie haben den Drang nach Bildung als Fiktion des Mehrwerts gereimter Worte
bis in die Köpfe der Proletarier gepresst – diese Handlungsgehilfen der Moralidiotie
des Rechtsstaats hätten in die Bewußtseine die Wachsamkeit des Gelächters, der
Ironie und des Nutzlosen schleudern müssen – den Jubel des orphischen Unsinns.
Die Heiligkeit des Sinnlosen ist der wahre Gegensatz zur Ehre des Bürgers, des
ehrlichen Sicherheitsgehirns, dieser Librettomaschine mit auswechselbarer Moralplatte.
Die Psycho-Analyse ist wissenschaftliche Reaktion auf diese faulende Pest, die
alle simplen, einfachen Gesten, Auflösungen, alle Steigerungen ins Blau der
Gipfel gütigen Formens herabmindert auf ein Niveau des Mittelstandes, der übelriechenden
Lauheiten des in sich beständig gelatineartigen Zitterns des Sumpfes. Diese
schleimblasentreibenden Tröpfe einer ekelhaften Verwandlungsfähigkeit in alles
und jedes, nur nicht in eines, diese leibhaftigen Verdränger der Einzigartigkeit
sind für die Zweckmäßigkeiten des um seine Börse greinenden Bürgers noch zu
miserabel. Ertränken wir sie im Unflat ihrer so grässlich ernsthaften sechzigbändigen
Werke! - Raoul Hausmann, Pamphlet gegen die weimarische Lebensauffassung (1919)
Dichterbeschimpfung
(2) Was meinen die Leute, wenn sie sagen: »Ihre Gedichte
mag ich nicht. Sie haben ja nicht den geringsten Glauben. Auch scheinen Sie
weder gelitten noch überhaupt je irgend etwas wirklich tief empfunden zu haben.
An dem, was Sie sagen, ist nichts Anziehendes, im Gegenteil, Ihre Gedichte sind
ausgesprochen abstoßend. Sie sind herzlos, grausam, und machen sich über den
Menschen lustig. Was in Gottes Namen wollen Sie aussagen? Sind Sie ein Heide?
Haben Sie denn gar kein Verständnis für den Menschen in seiner Schwachheit?
Auf den Reim dürfen Sie ja vielleicht verzichten - aber doch nicht auf das Versmaß.
Warum ist nichts davon in Ihrem Werk zu spüren? Nennen Sie das etwa Poesie?
Das Gegenteil ist es von Poesie. Es ist Anti-Poesie! Es ist die Verneinung des
Lebens, worauf Sie aus sind. Dichtung, die stets einherging mit dem Leben, Dichtung,
die die Regungen unseres Herzens ausdrückte, die uns inspirierte und zu neuen
Erkenntnissen führte, zu tieferem Verständnis, zu neuen Höhen der Begeisterung
... Ach, ihr Modernen! Der Tod der Dichtung ist es, was ihr am Ende erreicht.
Nein, ich kann euer Werk nicht begreifen. Ihr seid vom Leben noch nicht geschunden
worden. Wenn ihr erst einmal geschunden worden seid, werdet ihr anders schreiben?«
- William Carlos Williams: Frühling und Alles, nach
(wcw)
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