Dichter, idealer    Der Versuch, die gesellschaftliche Präsenz des Schriftstellers auszulöschen und ihn zu einem Gespenst zu reduzieren, vollzog sich auf unterschiedliche, mehr oder weniger perfide, mehr oder weniger indirekte Weise. Die nächstliegende und zugleich auch radikalste Methode war, seinen physischen Tod zu planen. Der Tod des Schriftstellers steht wohl ganz oben auf der Liste archaischer Wünsche, denn bereits im ersten Jahrhundert nach Christus schrieb der lateinische Dichter Martial in einem berühmten Epigramm: »Es ist nicht der Mühe wert zu sterben, allein um dir zu gefallen«, wobei er sich an einen jener Literaturkritiker mit nekrophilen Tendenzen wandte, die uns so gut bekannt sind. Aus dem Blickwinkel dessen, der sich zum Sprachrohr der ängstlich auf ihre Ruhe bedachten bürgerlichen Gesellschaft macht, ist der ideale Dichter auch heute noch der tote Dichter. Der tote Dichter bringt keine Unruhe in die Gesellschaft des Konformismus, weicht nicht von der herrschenden Meinung ab, diskutiert nicht, mischt sich nicht ein, schweigt endlich. Er ist ein leises Gespenst. Zu Lebzeiten mag er unbequem und indiskret gewesen sein, im Tod jedoch verdient er Aufmerksamkeit und Respekt. Der Tod reduziert den Dichter auf absolute und endgültige Weise zum Gespenst, hat jedoch den Nachteil, daß er meistens als undurchschaubares und unvorhersehbares Naturphänomen auftritt.  - (gesp)
 

Ideal Dichter

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