enker    Degas pflegte seinen Spott zu ergießen über eine bestimmte Sorte Menschen, die er die "Denker" nannte.

Die Weltverbesserer, die Rationalisten, die Kämpfer für "Wahrheit und Gerechtigkeit", die Theoretiker, die Kunstkritiker ... Alle diese so seriösen Leute waren seiner temperamentvollen Art zuwider; sie beleidigten seinen Sinn für Eleganz, für geistige Unvoreingenommenheit und Unabhängigkeit, kurzum sein ganzes Wesen, darin mit einem beinahe tragischen Wissen um die Schwierigkeit und Strenge seiner Kunst eine gewisse Lausbüberei sich verband, sowie ein fast widernatürlicher Hang, an den Idealen anderer nur das Lächerliche und Läppische zu sehen. - (deg)

Denker (2)   Ich schreibe Ihnen heute vor allem wegen Klages. Verfallen Sie ihm nicht!  Er macht einen Vortrag aus dem, was ein Genie in einen Relativsatz einflicht. Ich hörte mir im vorigen Jahr einen Vortrag hier von ihm an, um mir meine Eindrücke von seinem Werk bestätigen oder nicht bestätigen zu lassen. Sie wurden voll bestätigt! Als ich nach Hause ging, dachte ich: »außen Mephisto innen Frieda Schanz«. Bitte lesen Sie in seinem »Kosmogonischen Eros« die Stellen, wo er seinerseits schwungvoll wird. Die sind köstlich! Zum Beispiel Seite 98 »In fliederduftender Sommernacht...« usw. das sagt alles! Das sagt folgendes: Sein Durchschnittsniveau ist hoch. Seine Zusammenstellungen oft recht interessant und perspektivisch reich. Wo er sich selber einschaltet, wird er mickrig. Sein bestes ist die Arbeit: »Die psychologischen Errungenschaften Nietzsches«, Nietzschephilologie und Deutung im guten Sinne. Aber wo er sich und seine Person dann als Denker und Schöpfer einführt, wird er tantenhaft. Im übrigen ist sein Problem ja längst weitergeführt. Leben und Geist - das wird ja schon im Berliner Sportpalast verwendet und ist schon zu den Ministern gedrungen. Die neue Formel ist ja eben: nur Geist. Alles nur Geist! Das Leben? Du lieber Gott, das ist ja schon bei Nietzsche ein Krampf. Bei Bergson Feuilletonismus. Ist diese ganze Antithese nicht eigentlich allmählich reine Gedankenspielerei, tragisch vermummt? Das sind ja alles gar keine Denkereignisse mehr, das sind Stimmungen, in Büchern festgehaltene Liebhabereien, Postillen, Herzblättchens Zeitvertreib. Da sitzen und saßen diese »Denker«, in Tonnen oder unter Platanen, oder in Cafes oder in Kilchberg bei Zürich und pflegen ihre Hirngespinste, im Höchstfall säkulare Dämmerzustände, meistens aber nur ihre eigenen Konstitutionsneurosen und kranken an ihren Antithesen, aber einmal kommt der Augenblick, wo man nicht mehr kranken kann, wer dann noch krankt, der ist nicht krank genug, sonst würde er überzeugend sterben. Ich sehe jetzt manchmal das Bild von Völkern und Rassen, die unter allen diesen Seifenblasen, Gewäsch, Abstraktionshumbug sogenannter Denker namenlos unberührt dahinleben, offenbar aus Anlagen und Trieben hervorbrechen, rauben, zeugen, seßhaft werden, ihre Kiefer, ihr Geheul, ihren Samen gierig herumstoßen, pflügen, weiden und versinken. - Gottfried Benn an F.W. Oelze, 24. November 1934. In: G.B., Das gezeichnete Ich. Briefe aus den Jahren 1900-1956.  München 1962 (dtv 89)

Denker (3)  

Denker (4)  

- N. N. (frei nach Rodin)

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