Eine zornige Frau sagt einem Mann der Gesellschaft Beleidigungen,
und er nimmt sie schweigend entgegen, weil sie das
Recht hat, sie ihm ungestraft sagen zu dürfen; doch er hat das Recht, diese
Beleidigungen zu mißachten, und das ist äußerst demütigend für sie.
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(mariv)
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sue
)
Demütigung (3) Moses Melker mußte angesichts der
Monumentalstatuen Ramses' II. wie ein genmanipulierter Schimpanse gewirkt haben.
Der Große Alte sah im Geiste Ottilie Räuchlin vor sich. Sie war erhaben, mächtig
und häßlich. Der Große Alte achtete sie so, wie er Moses Melker belachte. Er
liebte deren Souveränität, sie hätte sich Männer je nach Laune und Gusto halten
können, wer wäre nicht gern mit Hilfe ihrer Millionen in ein angenehmeres Leben
gestartet. Doch mit einem Schönling als Gatten hätte sie ihre Häßlichkeit betont,
mit Moses Melker zeigte sie, daß sie sich nichts aus ihr machte. Diese Demütigung
vermochte Melker nicht zu ertragen. In der Nähe von Edfu stand der Mond über
dem Nil. Melker befand sich mit Ottilie Räuchlin allein auf Deck. Moses Melker
nahm zähnefletschend einen Anlauf und wäre beinahe ihr nachgefallen. Niemand
hörte das mächtige Platschen. Sie war so überrascht,
daß sie nicht einmal schrie. Schmuckbeschwert ging sie wie ein Stein unter.
Moses Melker vergaß seine Tat augenblicklich. Die Bretter der Theologie
klappten den Abgrund zu, kaum hatte er gehandelt. Er ging in seine Kabine und
begann Von zwei Engeln geführt zu schreiben, seinen Bestseller, in über
dreißig Sprachen übersetzt, eine Huldigung an seine zwei ermordeten Frauen und
ihnen gewidmet. Erst am nächsten Morgen, gegen Mittag, meldete er verstört dem
Kapitän, seine Frau sei aus ihrer Kabine verschwunden. Man suchte, fand nichts
und schöpfte keinen Verdacht. Seine Trauer war echt. Er hatte keine Ahnung mehr.
Doch als er ob Grienwil in seine Villa zurückkehrte und das Schlafzimmer betrat,
kam ihm die Erinnerung wieder. Im Ehebett lag gewaltigen Busens, dreikinnhoch
seine Schwägerin Cäcilie Räuchlin, in einem durchsichtigen Seidenhemd, auf ihren
Bäuchen lagen Pralinenschachteln, und sie rauchte Zigarren und las einen Kriminalroman.
Cäcilie Räuchlin schaute Moses Melker an, rauchte und las weiter. An ihrem Blick
hatte Melker erkannt, daß sie alles wußte. Er kroch zu ihr ins Bett und in seine
dritte Ehe. - Friedrich Dürrenmatt, Durcheinandertal. Zürich
1998
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