Davongekommener    Der Tod ist das große, ständig wiederkehrende Thema in Poes Erzählungen, aber da es sich um einen >rhetorischen< Tod handelt, das heißt um eine literarische Figur, muß er sorgfältiger definiert werden. In Hinab in den Maelström ist der Tod die Herausforderung und die Lockung, wird er zur grausigen Pracht und monströsen Epiphanie für den, der dort hinabstürzt, wo traditionsgemäß der Tod regiert; obwohl der Mann nicht stirbt und mit dem Leben davonkommt, geht er aus seiner Erfahrung - die als >schrecklich< zu bezeichnen ungenau wäre, denn nicht ihre Dimension zählt am meisten, sondern ihre Stellung innerhalb der Reihe der verschiedenen Erfahrungen - vollkommen verwandelt hervor, weitaus verwandelter als ein Toter, der ja nichts anderes tut, als ein traditionsgebundenes Leben traditionsgemäß zu beschließen. Er ist etwas anderes als ein Toter, aber auch etwas anderes als ein Überlebender; der Davongekommene hat den Tod kennengelernt, ihn als tobendes und gleichgültiges Schauspiel bewundert, und er besitzt somit ein Wissen, das niemand mit ihm teilen und das er niemandem mitteilen kann. Dieses Thema, der Tod als erlebbarer Exzeß, als eine den Betrug des Wirklichen zerstörende Hyperbel, kehrt in Poes Erzählungen ständig wieder; Berenice wird in einem kataleptischen Zustand begraben, der den Tod gewissermaßen geschickt nachahmt, aber sie ist nicht tot; Lady Madeline, die Schwester von Roderick Usher, wird scheintot begraben und verläßt ihr Grab wieder, Morella und Ligeia gehen durch den Tod, die eine mit Hilfe einer sanften List, die andere mit dem tödlichen Wunsch, den Tod zu töten; nur Eleonora nimmt den Tod als Liebesakt hin, um Frieden zu finden; aber auch Eleonora ist ein Gespenst, wenngleich ein mildes. - Giorgio Manganelli, Manganelli furioso. Handbuch für unnütze Leidenschaften. Berlin 1985
 

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