ankesschuld
In der ganzen Stadt kannte ich nicht einen einzigen ehrlichen Menschen. Mein
Vater nahm Bestechungsgelder und meinte dabei, daß
man ihm diese aus Respekt vor seinen seelischen Eigenschaften gebe; um aus einer
Klasse in die andere hinüberzukommen, begaben sich die Gymnasiasten in Pension
zu ihren Lehrern, und diese ließen sich dafür viel Geld bezahlen; die Gattin
des Stadtkommandanten nahm zur Zeit der Aushebung Geld von den Rekruten und
erlaubte sogar, daß man sie bewirtete, und einmal konnte sie in der Kirche sich
nicht vom Knien erheben, so betrunken war sie; während dieser Aushebungszeit
ließen sich auch die Ärzte bestechen, der Städtarzt und der Veterinär aber erhoben
ihre Steuern von den Fleischerläden und den Schenken; in der Kreisschule wurde
mit Zeugnissen Handel getrieben, die alle möglichen Vorteile verschafften; die
Pröpste nahmen Geld von dem ihnen unterstehenden Klerus sowie von den Kirchcnältestcn;
im Stadtamt, in der Gilde, im Medizinalamt und in allen übrigen Ämtern wurde
jedem Bittsteller nachgeschrien: »Nicht vergessen, die Dankesschuld zu entrichten!«,
und der Bittsteller kehrte zurück, um dreißig bis vierzig Kopeken zu opfern.
Diejenigen aber, die sich nicht bestechen ließen, wie zum Beispiel die Beamten
des Gerichtshofes, die waren hochmütig, sie reichten einem zur Begrüßung nur
zwei Finger, sie zeichneten sich durch Frostigkeit und Enge der Anschauungen
aus, sie spielten ewig Karten, sie tranken viel, sie heirateten nur Reiche und
übten zweifellos einen schädlichen und korrumpierenden Einfluß auf die anderen
aus. Nur die Mädchen atmeten sittliche Reinheit; die meisten von ihnen waren
von hohen Bestrebungen erfüllt und hatten ehrenhafte und saubere Seelen, indes
sie verstanden das Leben nicht und meinten, daß man Bestechungsgelder aus Respekt
vor seelischen Eigenschaften gebe, und wenn sie heira-teten,dann alterten sie
schnell, sie sanken und versanken schließlich hoffnungslos im Morast eklen bürgerlichen
Daseins. -
Anton Tschechow, Mein Leben. Erzählung eines Mannes aus der Provinz. Nach
(tsch)
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