Die jüngere der unverheirateten Damen, damals etwa achtzehn Jahre alt,
hatte von ferne die Eleganz und Vornehmheit eines sehr hochgewachsenen
Vogels. Ihr Kleid war von der fiedrigen Art der Kleidung eines Vogels,
und man wäre keinen Augenblick lang überrascht gewesen, wenn sie begonnen
hätte, ihr Gefieder zu putzen. Sie stand da, in der feinen, blattlosen
Kälte, ihre langen, dünnen Beine auf den nassen Gehsteig gesetzt, so, wie
ein großer Vogel in einem Tümpel steht. Sie sah
nicht aus wie ein Mensch, der viele Bekanntschaften hat - vielleicht nicht
mehr als einige blattlose, blütenbesetzte Zweige und Schwarzdornzweige,
und die frühen und fernen Flocken des Schnees. Ihr einziger Nachbar war
das Schweigen, und ihre Stimme ähnelte vom Klang her mehr einem Holzblasinstrument
als der Stimme eines Menschen. Sie war unansehnlich und wußte es. »Ein
Memoirenwerk aus dem achtzehnten Jahrhundert, Edith«, sagte die ältere
Dame, »so etwas würde deine Großmutter wohl mögen - es gibt das Leben der
Zeiten wider.« »Geben Sie mir bitte«, sagte sie schüchtern, als sie den
Laden betrat, »Memoiren aus dem achtzehnten Jahrhundert«, und zog sich
mit den Werken Casanovas zurück. - Edith Sitwell, Mein exzentrisches
Leben. Frankfurt am Main 1994 (Fischer-Tb. 12126, zuerst 1965)
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