amen,
reife
Eine wirkliche Intimität verbindet ihn nur mit zwei Frauen,
und diese sind überreif, ja mütterlich. Das ist Madame Duplay, die ihn voll
wacher Eifersucht ganz für sich allein haben will und sogar seine Schwester
aus dem Felde schlägt, und dann die grauhaarige Marquise de Chalabre, die zu
den Freunden seiner bescheidenen Tafelrunde gehört. Diese Dame ist eine jener
zahlreichen Aristokratinnen, die sich den neuen Prinzipien in die Arme geworfen
haben und der Sache der Freiheit wie einer neuen Mode anhängen. Der Unbestechliche
übt auf diese Schwärmerinnen, die sich der Politik ergeben, weil es für die
Liebe zu spät ist, eine besondere Anziehung aus. Wenn es auch unmöglich ist,
ihn in einen Salon zu ziehen, was für jede aufgeklärte Frau der Gipfel des gesellschaftlichen
Ehrgeizes ist, so kann man ihn doch von der Ferne aus anschwärmen und seinen
unerbittlichen Schlußfolgerungen begeisterten Beifall spenden. Im Jakobinerklub
sitzen die Damen immer in der ersten Reihe und halten mit vergehenden Gesichtern
die Lorgnons auf ihn gezückt. Die alte Chalabre - allerdings ist sie noch gar
nicht so alt, aber sie wirkt so - hat mehr Glück, sie darf ihn besuchen, ja
sie darf ihm nach einer langen Rede sogar die vor Anstrengung feucht gewordene
Stirn mit ihrem Taschentüchlein abtupfen. Man sagt sogar, daß er ihr manchmal
gestattet, ihm den Handspiegel vorzuhalten, wenn er sich die Krawatte bindet.
Allerdings hat sie ihm zu einer Zeit, wo sie ihn nur brieflich kannte, ihr Vermögen
angeboten, damit er seine Ideen besser verbreiten und der neuen Sache wirkungsvoller
dienen könne. Es fragt sich, ob alle diese reiferen Damen, die ihn wie einen
Modearzt oder wie einen berühmten Prediger verehren, so weit gehen würden. Die
meisten begnügen sich damit, ihm zu Füßen zu sitzen und die Strenge zu begrüßen,
welche er gegen alle Freuden zeigt, die auch ihnen versagt sind. - Friedrich Sieburg, Robespierre. München
1965 (zuerst 1935)
|
||
|
||